Stundung und Erlass

Kapitelnr.
15.4.02.
Publikationsdatum
1. März 2021
Kapitel
15 Rückerstattung und Nachzahlung
Unterkapitel
15.4. Verjährung, Stundung und Erlass der Rückerstattungsforderung

Rechtsgrundlagen

Erläuterungen

1.Stundung

Die Stundung einer Rückerstattungsforderung setzt voraus, dass ein rechtkräftiger Rückerstattungsbeschluss vorliegt. Ob die Sozialbehörde - entweder von sich aus oder auf ein entsprechendes Gesuch der zahlungspflichtigen Person hin - eine Stundung gewährt, liegt in ihrem weitgehenden Ermessen. Eine Stundung kommt insbesondere dann in Frage, wenn das Bestehen auf einer sofortigen Rückzahlung für die zahlungspflichtige Person eine grosse Härte darstellen würde. Dies ist der Fall, wenn die rückerstattungspflichtige Person derzeit lediglich ihr betreibungsrechtliches Existenzminimum zu decken vermag.

Auch im Falle einer Rückerstattung von unrechtmässigen bezogenen Leistungen kann die Forderung gestundet werden. Dies kommt allerdings wohl nur in Frage, wenn die rückzahlungspflichtige Person von der Sozialhilfe abgelöst wurde. Denn bei einer andauernden wirtschaftlichen Unterstützung kann der Rückerstattungsanspruch ohne Weiteres auf dem Weg der Verrechnung mit laufenden Leistungsansprüchen durchgesetzt werden (vgl. Kapitel 15.1.03), so dass hier nicht von einer grossen Härte gesprochen werden kann.

Zu prüfen ist in jedem Fall, ob die Stundung mit einer ratenweisen Begleichung der Forderung verbunden werden kann. Ist der verpflichteten Person eine Ratenzahlung zumutbar, ist dies einer Stundung der Gesamtforderung vorzuziehen. Die monatlichen Raten sind so zu bemessen, dass der rückerstattungspflichtigen Person in jedem Fall das betreibungsrechtliche Existenzminimum verbleibt.

Bei der Festlegung einer Ratenzahlung ist darauf zu achten, eine Bestimmung aufzunehmen, wonach die gesamte Restschuld sofort zur Zahlung fällig wird, wenn die verpflichtete Person mit der Begleichung einer Rate in Verzug kommt (unter Umständen kann auch eine bestimmte Frist des Verzuges festgelegt werden, z.B. Verfall der Restforderung, wenn die zahlungspflichtige Person mit der Bezahlung einer Rate mehr als fünf Tage in Verzug ist).

Kommt die Sozialbehörde nach Abwägung aller massgebenden Umstände zum Schluss, dass eine Stundung, allenfalls in Verbindung mit der Festlegung von Raten für die Rückzahlung, bewilligt werden kann, muss sie dies nicht zwingend in einem Beschluss festhalten. Grundsätzlich genügt ein entsprechendes Schreiben an die zahlungspflichtige Person. Ein formeller Beschluss ist jedoch zu erlassen, wenn

  • die rückerstattungspflichtige Person dies verlangt,
  • die Sozialbehörde eine ratenweise Begleichung der Forderung verlangt und die rückerstattungspflichtige Person dies generell ablehnt oder mit der Höhe der festgelegten Raten nicht einverstanden ist.

2.Erlass

Auch der Erlass einer Rückerstattungsforderung setzt zunächst voraus, dass ein rechtkräftiger Rückerstattungsbeschluss vorliegt. Weiter ist ein Erlass grundsätzlich nur auf Antrag der rückerstattungspflichtigen Person zu prüfen und ist darüber in der Regel in Form eines Beschlusses zu befinden. Dies jedenfalls dann, wenn ein Erlassgesuch abgelehnt wird oder wenn der Erlass bewilligt wird und es sich um einen Fall handelt, in welchem ein anderes Gemeinwesen die Kosten der wirtschaftlichen Hilfe erstattet hat (vgl. Kapitel 18). Denn in solchen Fällen kann das kostenersatzpflichtige Gemeinwesen durch einen wesentlichen Eingriff in sein Verwaltungsvermögen in seinen schutzwürdigen Interessen verletzt und damit gegebenenfalls zur Anfechtung des Erlassentscheides berechtigt sein (vgl. § 21 Abs. 2 lit. c und § 49 Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG). Der Beschluss über den Erlass ist in solchen Fällen daher auch dem kostenersatzpflichtigen Gemeinwesen zuzustellen.

Im Sozialhilfegesetz und in der Sozialhilfeverordnung fehlen ausdrückliche Bestimmungen über den Erlass einer Rückerstattungsverpflichtung. Die Regelung der Rückerstattung in Art. 25 Abs. 1 ATSG des Bundesgesetzes über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (SR 830.1), die sich auf das Sozialversicherungsrecht des Bundes bezieht, kann hingegen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts analog herangezogen werden. Eine rechtskräftig beschlossene Rückerstattungsforderung kann demnach erlassen werden, wenn die unterstützte Person die zurückzuerstattenden Leistungen in gutem Glauben erhalten hat und wenn die Rückerstattung für sie eine grosse Härte bedeuten würde.

Guter Glaube

Die Frage, ob eine Person die wirtschaftliche Hilfe, zu deren Rückerstattung sie verpflichtet wurde, in gutem Glauben empfangen hat, stellt sich grundsätzlich nur bei einer Rückerstattung von unrechtmässigen bezogenen Leistungen. In den Fällen von §§ 27 und 28 SHG wurde die wirtschaftliche Hilfe ja zu Recht ausgerichtet, so dass immer Gutgläubigkeit vorliegt.

Für das Vorliegen des guten Glaubens bei einem unrechtmässigen Bezug von Sozialhilfeleistungen genügt es nicht, dass sich die rückerstattungspflichtige Person nicht bewusst war, zu Unrecht wirtschaftliche Hilfe bezogen zu haben. Vielmehr setzt der gute Glaube voraus, dass der betreffenden Person weder böswillige Absicht noch grobe Nachlässigkeit vorgeworfen werden kann. Das bedeutet, dass eine auf grober Nachlässigkeit beruhende Verletzung der Melde- oder Auskunftspflicht den guten Glauben ausschliesst. Ein grobe Nachlässigkeit liegt dabei vor, wenn die rückerstattungspflichtige Person nicht das Mindestmass an Aufmerksamkeit aufgewendet hat, welches von einem verständigen Menschen in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen verlangt werden muss (vgl. BGE 102 V 245; BGE 110 V 176 E. 3c). Das Mass der gebotenen Aufmerksamkeit wird zwar nach einem objektiven Massstab beurteilt, allerdings darf das der rückerstattungspflichtigen Person subjektiv Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit, Gesundheitszustand, Bildungsgrad etc.) nicht ausgeblendet werden (Urteil des Bundesgerichts 8C_759/2008 vom 26. November 2008 E. 3.2 und E. 3.5).

Beispiel: Wer die Sozialbehörde nicht über ein laufendes IV-Verfahren informiert, macht sich einer groben Pflichtwidrigkeit schuldig, denn es leuchtet jedem verständigen Menschen ein, dass eine mögliche IV-Rente einen Einfluss auf die Ausrichtung wirtschaftlicher Hilfe hat.

Grosse Härte

Bei der Rückerstattung von Sozialversicherungsleistungen nach Art. 25 Abs. 1 ATSG wird zur Ermittlung, ob eine grosse Härte vorliegt, eine Berechnung nach dem Ergänzungsleistungsrecht vorgenommen (vgl. Art. 5 Abs. 1 ATSV Verordnung des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts) vorgenommen: Übersteigen die anerkannten und zusätzlichen Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen, liegt eine grosse Härte vor. Übertragen auf die Sozialhilfe bedeutet dies, dass eine grosse Härte vorliegt, wenn die rückerstattungspflichtige Person auf dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum lebt. Massgebend sind dabei die Verhältnisse im Zeitpunkt, in welchem rechtskräftig über die Rückerstattung beschlossen wurde (vgl. Art. 4 Abs. 2 ATSV).

3.Rechtsmittel

Erste Rechtsmittelinstanz gegen Beschlüsse von Sozialbehörden über Stundung oder Erlass von Rückerstattungsforderungen ist der jeweilige Bezirksrat. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Anpassung des kantonalen Verwaltungsverfahrensrechts vom 22. März 2010 (OS 65, 390; ABl 2009, 801) am 1. Juli 2010 können die Rechtsmittelentscheide der Bezirksräte neu mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Zürich angefochten werden.

Rechtsprechung

VB.2020.00278: Weder das Sozialhilfegesetz noch die Verordnung zum Sozialhilfegesetz regeln den Erlass einer Rückerstattungsverpflichtung. In sinngemässer Anwendung von Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts kann eine rechtskräftig beschlossene Rückerstattungsforderung nach der Rechtsprechung aber dann erlassen werden, wenn (kumulativ) die unterstützte Person die zurückzuerstattenden Leistungen in gutem Glauben erhalten hat und wenn die Rückerstattung für sie eine grosse Härte bedeuten würde. Die Gutgläubigkeit muss im Zeitpunkt vorliegen, in dem die rückerstattungspflichtige Person die für die Rückerstattungsforderung massgebende wirtschaftliche Hilfe bezog. Eine grosse Härte wird dann angenommen, wenn die rückerstattungspflichtige Person auf dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum lebt (VGr, 28. November 2019, VB.2019.00561, E. 2; 13. Januar 2017, VB.2015.00467, E. 2.1 und 2.3; 27. Oktober 2016, VB.2016.00011, E. 2, 3.1 und 4.2, jeweils mit Hinweisen).

VB.2019.00561: In sinngemässer Anwendung von Art. 25 Abs. 1 ATSG kann eine rechtskräftig beschlossene Rückerstattungsforderung erlassen werden, wenn (kumulativ) die unterstützte Person die zurückzuerstattenden Leistungen in gutem Glauben erhalten hat und wenn die Rückerstattung für sie eine grosse Härte bedeuten würde. Die Gutgläubigkeit muss im Zeitpunkt vorliegen, in dem die rückerstattungspflichtige Person die für die Rückerstattungsforderung massgebende wirtschaftliche Hilfe bezog. Eine grosse Härte wird dann angenommen, wenn die rückerstattungspflichtige Person auf dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum lebt (E. 2). Sämtliche Beschlüsse, aus denen sich die Rückerstattungsforderung zusammensetzt, erwuchsen in Rechtskraft und können deshalb inhaltlich nicht mehr überprüft werden. Ob die Beschwerdeführerin die zurückzuerstattenden Leistungen mindestens teilweise in gutem Glauben erhielt, kann offenbleiben, da bei ihr jedenfalls kein Härtefall vorliegt (E. 3).

VB.2016.00011: E.2: Weder das Zürcher Sozialhilfegesetz vom 14. Juni 1981 (SHG) noch die Sozialhilfeverord­nung vom 21. Oktober 1981 (SHV) regelt den Erlass einer Rückerstattungsverpflichtung. Nach der Rechtsprechung des Regierungsrates (RRB Nr. 436/2008) kann allerdings die Regelung der Rückerstattung in Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1), die sich auf das Sozialversicherungsrecht des Bundes bezieht, analog herangezogen werden (so auch Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Sozialhilfe-Behördenhandbuch, Ausgabe April 2005 mit seitherigen Ergänzungen [fortan Sozialhilfe-Behördenhandbuch], Kap. 15.4.02 Ziff. 2, 30. Juni 2014). Davon ging auch die Vorinstanz aus. Nach Art. 25 Abs. 1 ATSG kann eine rechtskräftig beschlossene Rückerstattungsforderung dann erlassen werden, wenn (kumulativ) die unterstützte Person die zurückzuerstattenden Leistungen in gutem Glauben erhalten hat und wenn die Rückerstattung für sie eine grosse Härte bedeuten würde. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass der erwähnte Entscheid des Regierungsrates einen Fall betraf, in dem wirtschaftliche Hilfe unrechtmässig bezogen wurde, ist nicht relevant. Dieser Umstand hatte nur zur Folge, dass in jenem Fall bereits der gute Glaube beim Bezug der Fürsorgeleistungen fehlte, weshalb das Vorliegen einer grossen Härte nicht mehr geprüft werden musste (dazu hinten E. 3). Daraus lässt sich indessen nicht ableiten, dass für die Beurteilung eines Erlassgesuchs im Bereich von Fürsorgeleistungen die Regeln des Sozialversicherungsrechts nicht zur Anwendung gelangen würden.

VB.2013.00119: Das Gesuch um Erlass der Rückerstattungsschuld gegenüber der Sozialbehörde ist bei der verfügenden Behörde zu stellen.

RRB Nr. 436/2008: Die Pflicht zur Rückerstattung kann erlassen werden, wenn - kumulativ - der Bezüger gutgläubig war und die Rückerstattung eine grosse Härte bedeutet. Unrechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe ist grundsätzlich zurückzuerstatten, weil regelmässig der gute Glaube fehlt. Rechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe kann zurückgefordert werden, wenn der Hilfeempfänger z.B. für die gleiche Zeit IV-Leistungen erhielt. Wer dabei das Mindestmass an Sorgfalt, das jedem verständigen Durchschnittsbürger in gleicher Lage und gleichen Umständen als beachtlich hätte einleuchten müssen, ausser Acht lässt, handelt grob pflichtwidrig, weshalb in solchen Fällen der gute Glaube ebenfalls fehlt.

VB.2007.00337: Der Entscheid über den Erlass oder die Stundung der Rückerstattungsforderung setzt eine rechtskräftige Rückerstattungsverpflichtung voraus. Sollte die Beschwerdegegnerin nach Rechtskraft dieses Entscheids zum Schluss kommen, dass die Rückerstattungsforderung weder zu stunden noch zu erlassen ist, wird sie sich unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Existenzminimums und der SKOS-Richtlinien mit den Rückerstattungsmodalitäten zu befassen haben (E. 6).

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