Verwandtenunterstützungspflicht - allgemeine Ausführungen

Kapitelnr.
17.3.01.
Publikationsdatum
30. Januar 2013

Rechtsgrundlagen

§ 25 SHG Art. 25 ZUG Art. 328 ZGB Art. 329 ZGB SKOS-Richtlinien, Kapitel F.4 SKOS-Richtlinien, Kapitel H.4

Erläuterungen

1.Allgemeines

Nach § 25 SHG prüft die Sozialbehörde, ob Verwandte gemäss Art. 328 ZGB und Art. 329 ZGB zur Unterstützung der Hilfe suchenden Person verpflichtet sind. Wenn es die Verhält-nisse rechtfertigen, kann sie die Pflichtigen zur Hilfe auffordern und zwischen ihnen und der Hilfe suchenden Person vermitteln. Daher liegt es im pflichtgemässen Ermessen der Behör-de, ob sie im Einzelfall von der Verwandtenunterstützung Gebrauch machen will. Aus § 14 SHG und § 15 SHG geht hervor, dass ein Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe dann besteht, wenn jemand aus eigenen Mitteln für seinen Lebensunterhalt nicht aufkommen kann (vgl. auch § 16 SHV und § 17 SHV). Demnach müssen Bedürftige unabhängig von den fi-nanziellen Verhältnissen ihrer Verwandten durch die Sozialhilfe unterstützt werden. Erhalten Bedürftige hingegen bereits Leistungen von ihren Verwandten, so sind diese selbstverständ-lich im Rahmen der eigenen Mittel anzurechnen. Die Verwandtenunterstützungspflicht ist von der ehelichen und der (normalerweise nur bis zur Mündigkeit dauernden) elterlichen Unterhaltspflicht zu unterscheiden. Die Unterhalts-pflicht nach Art. 163 - 165 ZGB (vgl. Kapitel 17.1) bzw. Art. 276 ff. ZGB (vgl. Kapitel 17.2) geht der Verwandtenunterstützungspflicht vor und ist von den Sozialbehörden auf jeden Fall zu berücksichtigen.

2.Unterstützungspflichtige Personen

Die Verwandtenunterstützungspflicht betrifft Verwandte in auf- und absteigender (gerader) Linie, also Grosseltern, Eltern, Kinder etc. Nicht unterstützungspflichtig sind demnach Verwandte in der Seitenlinie (Geschwister, Tan-

ten und Onkel etc.), Stiefeltern und Stiefkinder sowie Verschwägerte (Schwiegereltern, Schwiegerkinder). Der Anspruch auf Leistung des zum Lebensunterhalt der Bedürftigen erforderlichen und den Verhältnissen der Pflichtigen angemessenen Betrags ist in der Reihenfolge der Erbberechti-gung geltend zu machen (Art. 329 Abs. 1 ZGB). Sind mehrere in Frage kommende Verwand-te vorhanden, so sind primär die Nachkommen heranzuziehen. Unter Verwandten gleichen Grades (z.B. mündige Kinder) besteht eine (nach ihren Verhältnissen) anteilmässige Ver-pflichtung. Erscheint die Heranziehung eines oder einer Pflichtigen wegen besonderen (sich auf das Verhältnis zum bzw. zur Bedürftigen beziehenden) Umständen als unbillig, so kann das Gericht die Unterstützungspflicht ermässigen oder aufheben (z.B. bei schwerer Verlet-zung von familienrechtlichen Pflichten durch die Begünstigten; Art. 329 Abs. 2 ZGB).

3.Notlage

Anspruch auf Verwandtenunterstützung hat, wer ohne diesen Beistand in Not geraten würde (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Nach der Rechtsprechung befindet sich in einer Notlage im Sinne dieser Bestimmung, wer sich das zum Lebensunterhalt Notwendige nicht mehr aus eigener Kraft verschaffen kann (BGE 121 III 441 E. 3 S. 442). Der Unterstützungsanspruch geht in der Regel auf die Verschaffung von Nahrung, Kleidung, Wohnung sowie ärztlicher Betreuung und Heilmitteln bei Krankheit (BGE 132 III 97 E. 2.2), aber auch auf Beschaffung der Mittel, welche zur Deckung der Kosten des Aufenthalts und der Behandlung Suchtabhängiger in ei-ner Anstalt nötig sind (Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenunterstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 49).

4.Günstige Verhältnisse

Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB sind nur Verwandte unterstützungspflichtig, die in günstigen Verhältnissen leben. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung lebt in günstigen Verhält-nissen, wem aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation eine wohlhabende Le-bensführung möglich ist. Massgebende Bemessungsgrundlage ist das steuerbare Einkom-men gemäss Bundessteuer zuzüglich Vermögensverzehrs. Einkommen und Vermögen der Ehegatten der pflichtigen Verwandten sind dabei nicht einzuberechnen. In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypothekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsauslagen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Feri-en, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc.; in diesem Sinne schon BGE 82 II 197 E. 2 S. 199), d.h. wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann (Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007, E. 3.2.3). Massgeblich für die Beurteilung dieser Gesamtsituation ist nicht nur das Einkom-men, sondern auch das Vermögen. Ein Anspruch auf dessen ungeschmälerte Erhaltung be-

steht nur dann, wenn die Unterstützung das eigene Auskommen des Pflichtigen schon in na-her Zukunft gefährdet (BGE 132 III 97 E. 3.2). Zu berücksichtigen sind ferner auch die ver-wandtschaftlichen Beziehungen (Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007 E. 3.2.3). Insgesamt sind alle sachlich wesentlichen Umstände des konkreten Einzel-falls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu fin-den (BGE 132 III 97 E. 1). Vgl. dazu auch Kapitel 17.3.02.

Rechtsprechung

Urteil des Bundesgerichts 5A_291/2009 vom 28. August 2009: Im vorliegenden Einzelfall geht es - anders als in den meisten Fällen, welche das Bundesgericht in der letzten Zeit zu beurteilen hatte - nicht um dauerhafte Unterstützungsleistungen, wie sie insbesondere bei der Altersunterstützung im Zusammenhang mit einer Langzeitpflege typisch sind, sondern im Wesentlichen um die einmaligen Kosten für eine Entwöhnungstherapie. In dieser konkreten Situation ist es keine den besonderen Verhältnissen und der finanziellen Gesamtsituation angepasste Lösung, wenn für eine einmalige Unterstützungsleistung das Vermögen in An-wendung der SKOS-Richtlinien auf ein Dauereinkommen umgerechnet wird. Dass die ge-wählte Vorgehensweise für die einmalige Unterstützungsleistung unsachgemäss ist, zeigt sich insbesondere im Umstand, dass das auf der Basis des um die verlangte Unterstützung verminderten Vermögens berechnete Einkommen praktisch unverändert bliebe und sich in-sofern nicht sagen lässt, zufolge der Unterstützung könne sich der Beschwerdeführer seine angestammte Lebensführung nicht mehr leisten. Das Kantonsgericht hat, indem es einfach das Vermögen auf ein Dauereinkommen umgerechnet hat, unbekümmert um die für die Verwandtenunterstützungspflicht geltende Untersuchungsmaxime (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 280 Abs. 2 ZGB) keine näheren Sachverhaltsfeststellungen getroffen, ob dem Be-schwerdegegner aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben möglich ist und ob diese Lebensführung mit der Zahlung des einmaligen Betrages von Fr. 35'410.90 beeinträchtigt wäre. Zumal ohnehin weitere Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind, welche das Kantonsgericht ausdrücklich offengelassen und zu denen es insbe-sondere auch keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat (namentlich Unbilligkeitsgrün-de), ist die Sache deshalb zur Sachverhaltsergänzung und neuen Entscheidung im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen (E. 5). Urteil des Bundesgerichts 5C.186/2006 vom 21. November 2007: In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypo-thekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsausla-gen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Ferien, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc; in diesem Sinne schon BGE 82 II 197 E. 2 S. 199), d.h. wer auf-grund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann. Ob sich fi-nanziell gutgestellte Personen auch tatsächlich einen aufwändigen Lebensstil gönnen oder

ob sie sich mit einer bescheidenen Lebenshaltung begnügen, macht schliesslich für die Be-urteilung der günstigen Verhältnisse keinen Unterschied (E. 3.2.3). BGE 133 III 507: Mit Bezug auf die Kosten des Aufenthalts und der Behandlung Suchtab-hängiger ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Notlage vorliegt, nicht massgebend, ob die für die Behandlung der Betroffenen gewählte Einrichtung der kantonalen Sozialhilfege-setzgebung entspricht; nicht von Bedeutung ist ferner, dass das nunmehr gegen die unter-stützungspflichtigen Verwandten klagende Gemeinwesen gestützt auf die kantonale Sozial-hilfegesetzgebung die Behandlungskosten eines nach Art. 328 ZGB Unterstützungsberech-tigten getragen hat. Eine Notlage im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn kein dem Behand-lungsbedürfnis des Suchtkranken entsprechendes und anerkanntes Angebot an Behand-lungsanstalten besteht, dessen Kosten vom obligatorischen Krankenversicherer getragen werden; ebenso dürfte sie zu bejahen sein, wenn zwar eine solche Einrichtung besteht, die entsprechenden Kosten aber vom obligatorischen Krankenversicherer - etwa aufgrund eines Selbstbehalts des Versicherten - nicht voll übernommen werden (E. 5.1). Die Beweislast da-für, dass eine Notlage vorliegt, die einen Anspruch aus Art. 328 ZGB begründet, obliegt dem Ansprecher (BGE 60 II 266 E. 4 S. 268; KUMMER, Berner Kommentar, N. 148 zu Art. 8 ZGB; KOLLER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 3. Aufl. 2006, N. 13 zu Art. 328/329 ZGB; ALBERT BANZER, Die Verwandtenunterstützungspflicht nach Art. 328/329 ZGB, Diss. Zürich 1979, S. 196; WIDMER, a.a.O., S. 54). Klagt das Gemeinwesen, welches aufgrund erbrachter Leistungen kraft gesetzlicher Subrogation in die Rechte des Ansprechers einge-treten ist (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB), obliegt ihm der Beweis der Notlage (E. 5.2). BGE 132 III 97: Art. 328 f. ZGB; Verwandtenunterstützung und Sozialhilfe. Der kantonale Entscheid über die Unterstützungspflicht von Verwandten beruht auf Ermessen (E. 1). Die Verwandtenunterstützung geht nicht weiter als die Sozialhilfe, muss aber mindestens den nach betreibungsrechtlichen Regeln ermittelten Notbedarf gewährleisten (E. 2). Zur Leistung von Unterstützung hat der pflichtige Verwandte sein Vermögen anzugreifen, soweit es nicht längerfristig zur Sicherung seiner weiteren Existenz, namentlich im Hinblick auf das Alter un-angetastet bleiben muss (E. 3). VB.2005.00267: Die familienrechtliche Unterstützung geht der öffentlich-rechtlichen vor (vgl. Art. 293 Abs. 1 ZGB; Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. A., Bern 1999, S. 239). Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten wür-den. Der Anspruch ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen (Art. 329 Abs. 1, 1. Halbsatz ZGB). Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruchs auf das Gemeinwesen fin-den entsprechende Anwendung (Art. 329 Abs. 3 ZGB). Es entspricht der gegenseitig ge-schuldeten Rücksicht zwischen Eltern und Kindern im Sinne von Art. 272 ZGB, dass Unter-haltsansprüche zuerst auf dem Verhandlungsweg geltend gemacht werden. Dies gilt auch im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht (Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenun-terstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 53). Ist es jedoch notwendig den Unterstützungsanspruch auf dem Klageweg geltend zu machen, so steht die Klage dem Unterstützungsbedürftigen zu und richtet sich gegen den Unterstützungspflichti-

gen (Art. 329 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 279 Abs. 1 ZGB; E. 2.1).

Anmerkung:

Im vorliegenden Fall hat die Sozialbehörde keine Unterstützungszahlungen geleistet, der Anspruch auf Verwandtenunterstützung ging also nicht auf sie über. BGE 121 III 441: Art. 328 Abs. 1 ZGB; Begriff der Notlage. In einer Notlage im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB befindet sich, wer sich das zum Lebensunterhalt Notwendige nicht aus eigener Kraft verschaffen kann. Dies ist der Fall, wenn jemand nicht arbeitsfähig ist oder kei-ne Erwerbsmöglichkeit hat bzw. wenn ihm eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten ist. Einer ledigen Mutter ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die erste Zeit nach der Geburt, so-lange ein Kleinkind einer persönlichen Betreuung bedarf, nicht zuzumuten (E. 3).

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