Zusammenfassung (verfasst von der Bezirksratskanzlei):
Ein freiwilliges Ferienangebot der Schule untersteht nicht der Volksschulgesetzgebung. Der Ausschluss eines behinderten Kindes mit einem erhöhten Betreuungsbedarf von diesem Angebot verstösst nicht gegen die UNO-Behindertenrechtskonvention oder das Diskriminierungsverbot.
Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):
Sachverhalt:
Am 17. Januar 2023 meldeten A und B ihre drei Kinder für die beiden Sportferienwochen 2023 an jeweils zwei Tagen pro Woche im Ferienclub der Schule X an. Am 6. Februar 2023 wurde den Eltern telefonisch mitgeteilt, dass die Tochter C aufgrund ihres erhöhten Betreuungsbedarfs den Ferienclub nur in der zweiten Ferienwoche besuchen könne. Mit Beschluss vom 1. März 2023 hielt die Geschäftsleitung der Schule X fest, der Betreuungsschlüssel im Ferienclub betrage gemäss Betriebsreglement je nach Alter der Kinder 1:7 bis 1:9. Eine 1:1 Betreuung sei ausgeschlossen. Kinder mit entsprechendem Bedarf könnten daher nicht in den Ferienclub aufgenommen werden. Das Anmeldeformular werde mit einem entsprechenden Vermerk ergänzt. Das hiergegen erhobene Gesuch um Neubeurteilung wies die Schulpflege X mit Beschluss vom 28. März 2023 ab und bestätigte den Beschluss vom 1. März 2023. Gegen diesen Beschluss liessen A und B mit Eingabe vom 11. April 2023 Rekurs erheben. Sie beantragen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, und ihre Tochter C sei zukünftig gleichberechtigt mit den anderen Kindern in den Ferienclub zu inkludieren.
Erwägungen:
1. [Prozessgeschichte]
2.
Der angefochtene Entscheid erging nicht gestützt auf die Volksschulgesetzgebung. Die Zuständigkeit des Bezirksrates zur Beur¬teilung des vorliegenden Rekurses ergibt sich somit aus § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Bezirksverwaltung. Der angefochtene Ent-scheid ist zwar generell formuliert, bezieht sich jedoch auf ein Gesuch der Rekurrenten für ihre Tochter. Sodann wird nur das Anmeldeformular und kein Reglement angepasst. Beim angefoch¬tenen Entscheid handelt es sich somit um eine individuell-konkrete Anordnung (Bosshart/Bertschi, in Griffel [Hrsg.], VRG-Kommentar, 3. A. 2014, § 19 N. 3). Die Rekurrenten sind durch den ange¬foch¬tenen Entscheid berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an seiner Änderung oder Aufhebung, weshalb sie zum Rekurs legiti¬miert sind (§ 21 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]). Auf den fristgerecht eingegangenen Rekurs ist demnach einzutreten.
3.
3.1
[Ausführungen der Schulpflege und der Rekurrenten]
3.2
Unbestrittenermassen handelt es sich beim Ferienclub um ein freiwilliges Angebot der Gemeinde X, welches somit nicht den Regeln der Volksschulgesetzgebung unterliegt. Die materiellen Bestimmungen des Behindertengleichstellungsgesetzes finden vorliegend ebenfalls keine Anwendung, da sich der Ferienclub nicht auf Bundesrecht stützt (Schefer/Hess-Klein, Behindertengleichstellungsrecht, 2014, S. 263). Diese Bestimmungen werden denn auch von den Rekurrenten nicht angerufen. Bund, Kantone und Gemeinden sind hingegen umfassend an die Grundrechte gebunden; dies sowohl, wenn sie hoheitlich auftreten, als auch dann, wenn sie etwa eine wirtschaftliche Tätigkeit in Konkurrenz zu Privaten und in den Formen des Privatrechts ausüben (Schefer/Hess-Klein, S. 267). Nachfolgend ist daher zu prüfen, ob sich aus dem Verfassungsrecht ein Anspruch auf Teilnahme am Ferienclub ergibt.
3.3
Nach Art. 11 Abs. 4 KV haben Menschen mit Behinderungen Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Bauten, Anlagen, Einrichtungen und Leistungen. Damit soll lediglich der Zugang zu Bauten gewährleistet werden (Biaggini, in Häner/Rüssli/Schwarzenbach [Hrsg.], Kommentar zur Zürcher Kantonsverfassung, 2007, Art. 11 N. 41). Darauf berufen sich die Rekurrenten denn auch nicht.
3.4
Gemäss Art. 8 Abs. 2 BV darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
Vorliegend wird C künftig aufgrund ihrer Behinderung vom Ferienclub ausgeschlossen. Diese Benachteiligung kann aber nicht einfach damit behoben werden, dass C zum Ferienclub zugelassen wird. Gemäss dem Betriebsreglement für familienergänzende Tagesstrukturen der Schulgemeinde X / Bestimmungen Ferienclub bietet der Ferienclub je nach Alter der Kinder einen Betreuungsschlüssel von 1:7 bis 1:9. Eine 1:1 Betreuung, wie sie C benötigt, wird nicht angeboten. Nach Angabe der Schulpflege kann der Ferienclub bei einem Betreuungsschlüssel von 1:7 bis 1:9 kostendeckend durchgeführt werden. Im Falle von C hätte die Gemeinde somit eine zusätzliche, im Betriebsreglement nicht vorgesehene Leistung zu erbringen, indem für C eine 1:1-Betreuung eingerichtet und finanziert werden müsste, da ihr sonst eine Teilnahme aufgrund ihrer Behinderung faktisch gar nicht möglich wäre.
Art. 8 Abs. 2 BV begründet keinen individualrechtlichen, gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass eine faktische Gleichheit hergestellt wird. Für die Beseitigung faktischer Benachteiligungen behinderter Personen besteht vielmehr ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Beseitigungsauftrag (Art. 8 Abs. 4 BV), welchen der Gesetzgeber zu konkretisieren hat (BGE 141 I 9, E. 3.1). Ebenso statuiert Art. 8 Abs. 2 BV im Gegensatz zu Abs. 3 (Gleichstellung von Mann und Frau) für Menschen mit Behinderung kein Egalisierungsgebot, weshalb der Gesetzgeber lediglich dem in Art. 8 Abs. 4 statuierten Auftrag zur Ergreifung positiver Massnahmen zum Abbau von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen verpflichtet ist (Schweizer, in Ehrenzeller/Schindler/Schwei¬zer/Vallen¬der [Hrsg.], Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 3. A. 2014, Art. 8 N. 79; Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 10. A. 2020, Rz. 775; Kälin/Künz¬li/Wyt-tenbach/Schneider/Akagündüz, Mögliche Konsequenzen einer Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Schweiz, 2008, S. 44 f.). Wie erwähnt, ist aber das gestützt auf Art. 8 Abs. 4 BV erlassene Behindertengleichstellungsgesetz vorliegend nicht anwendbar.
Gestützt auf Art. 8 Abs. 2 BV kann somit die Gemeinde nicht verpflichtet werden, eine positive Leistung zu erbringen und eine 1:1 Betreuung einzurichten und zu finanzieren, um C die Teilnahme am Ferienclub zu ermöglichen.
3.5
3.5.1
Nach Art. 5 der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) anerkennen die Vertragsstaaten, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben (Abs. 1). Die Vertragsstaaten verbieten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen (Abs. 2). Die Vertragsstaaten unternehmen zur Förderung der Gleichberechtigung und zur Beseitigung von Diskriminierung alle geeigneten Schritte, um die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen zu gewährleisten (Abs. 3).
Gemäss Art. 30 Abs. 5 lit. c BRK treffen die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen, um sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschliesslich im schulischen Bereich.
In Art. 7 BRK wird die Gleichberechtigung von Kindern, das Kindeswohl als vorrangiger Gesichtspunkt und das Recht von Kindern auf Meinungsäusserung statuiert. Es handelt sich hierbei nicht um die Schaffung neuer Rechte für Kinder mit Behinderung, sondern um die Spezifizierung bereits bestehender Rechte (Ganner, in Naguib/Pärli/Landolt/De-mir/Filippo [Hrsg.], UNO-Behindertenrechts¬konvention, 2023, Art. 7 N. 2).
3.5.2
Generell enthält die Konvention Abwehrrechte, Schutzpflichten und positive Leistungspflichten (Kälin/Künzli/Wyttenbach/Schneider/Aka¬gündüz, S. 15). Für die beiden Kategorien der bürgerlichen und politischen Rechte sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte schafft die BRK bewusst unterschiedliche Verpflichtungsarten. Die Teilhabe an einem Freizeitangebot, welche eine Leistungspflicht der Gemeinde zur Folge hätte, ist als soziales oder kulturelles Menschenrecht einzustufen (Kälin/Künzli/Wyttenbach/Schnei¬der/ Aka¬gün¬düz, S. 21 f.). Dies ergibt sich auch daraus, dass die Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport in Art. 30 BRK zusammenfassend abgehandelt wird.
Die hier interessierenden Gewährleistungspflichten, d.h. die Pflicht, angemessene Vorkehrungen zu treffen, sind grundsätzlich auch in Bezug auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sofort zu erfüllen (Studer/Pärli/Meier, in Naguib/Pärli/Landolt/De-mir/Filippo [Hrsg.], UNO-Behindertenrechtskonvention, 2023, Art. 5 N. 54). Dies gilt allerdings nur für den «harten Kern» der Garantien. Wird dieser nicht gewährleistet, wird das Recht ausgehöhlt und seines Sinnes entleert. Diese «minimal core obligations» reflektieren, was für das Überleben und das Wohl einer Person absolut unabdingbar ist, weshalb auch eine unmittelbare Pflicht des Staates bejaht wird, dieses Mindestniveau eines Rechts zu erfüllen (Studer/Pärli, in Naguib/Pärli/Landolt/De¬mir/Filippo [Hrsg.], UNO-Behinderten¬rechts¬konvention, 2023, Art. 4 N. 74; Kälin/Künzli/Wyttenbach/Schneider/Aka-gündüz, S. 28 f.). Leistungsverpflichtungen, die nicht zu den Mindestverpflichtungen gehören, sind progressiv, aber unter Ausschöpfung der verfügbaren Mittel umzusetzen (Studer/Pärli, Art. 4 N. 77).
Was die Justiziabilität der Leistungspflichten anbetrifft, so ist jeweils auf die konkrete Garantie abzustellen, um festzustellen, ob sie derart präzisiert ist, dass sie im Einzelfall die Grundlage einer Entscheidung bilden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Kernverpflichtungen eines Rechts derart klar bestimmt oder bestimmbar sein müssen, dass sich daraus individuell durchsetzbare Ansprüche ableiten lassen (Studer/Pärli, Art. 4 N. 83; Kälin/Künzli/Wyttenbach/ Schneider/Aka¬gündüz, S. 33 f.). Dies ist auch die Haltung des Bundesgerichts und des Bundesrates (Studer/Pärli, Art. 4 N. 101 ff.; Kälin/Künzli/Wyttenbach/Schneider/Aka¬gündüz, S. 34).
Sofort zu garantierende Mindestverpflichtungen ergeben sich beispielsweise aus dem Recht auf Bildung. Dazu gehören unter anderem das Treffen angemessener Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht vom Recht auf Bildung ausgeschlossen werden, und die obligatorische, kostenlose Grundschulbildung für alle (Studer/Pärli, Art. 4 N. 75). Die Umsetzung des Rechts auf Sport, Erholung und Freizeit für Kinder nach Art. 30 Abs. 5 lit. d BRK erfordert dagegen politische Massnahmen wie insbesondere Rechtsvorschriften und angemessene Ressourcen zu ihrer Umsetzung (Naguib, in Naguib/Pärli/Landolt/Demir/Filippo [Hrsg.], UNO-Behindertenrechtskonvention, 2023, Art. 30 N. 69). Diese Bestimmung ist damit programmatischer Natur.
3.5.3
Unbestrittenermassen gewährleistet die Schule X für C eine integrative Beschulung mit einer 1:1 Betreuung, und während der Schulzeit profitiert sie auch vom schulergänzenden Betreuungsangebot in dem von ihren Eltern gebuchten Modulumfang. Ihr Recht auf Bildung ist damit in keiner Weise tangiert.
Der Ferienclub ist ein zusätzliches, freiwilliges Angebot der Schule X. Wie bereits erwähnt, ist das Recht auf Teilhabe an Freizeitangeboten gemäss Art. 30 BRK programmatischer Natur und damit nicht justiziabel. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Teilhabe am Ferienclub für das Wohl von C absolut unabdingbar wäre und damit der Kerngehalt des (allgemeiner gehaltenen) Gleichbehandlungsgebotes bzw. Diskriminierungsverbotes von Art. 5 Abs. 3 BRK tangiert wäre. Der Ferienclub wird lediglich während der Schulferien angeboten, und daran können jeweils lediglich 40 Kinder teilnehmen. Unter diesen Umständen ist auch die soziale Integration von C nicht in ihrem Kerngehalt beeinträchtigt, wenn sie nicht am Ferienclub teilnehmen kann.
Auch aus der BRK ergibt sich somit kein durchsetzbarer Anspruch darauf, dass die Gemeinde C die Teilnahme am Ferienclub ermöglicht, indem sie eine 1:1 Betreuung einrichtet und finanziert.
Damit ist der Rekurs abzuweisen.
4.
Da vorliegend das Behindertengleichstellungsgesetz nicht zur Anwendung kommt, ist das Verfahren nicht unentgeltlich (Art. 10 des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 1. Januar 2004 [BehiG; SR 151.3]). Die Verfahrenskosten sind ausgangsgemäss den Rekurrenten aufzuerlegen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 VRG). Sie haften solidarisch (§ 14 VRG).
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