0418

Entscheidinstanz
Direktion der Justiz und des Innern
Geschäftsnummer
JI 2023-2191
Entscheiddatum
28. November 2023
Rechtsgebiet
Straf- und Massnahmenvollzug
Stichworte
Electronic Monitoring Halbgefangenschaft Strafvollzug
Verwendete Erlasse
Art. 77b StGB Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB Art. 80 StGB Art. 32 Abs. 4 JVV/BE Art. 61 JVV/BE

Zusammenfassung (verfasst von der Direktion der Justiz und des Innern):

Der Rekurrent wurde mit Urteil vom 25. Mai 2022 zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen als Zusatzstrafe verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde im Umfang von 19 Monaten aufgeschoben. Im Umfang von neun Monaten sei die Freiheitsstrafe zu vollziehen.

Die Vollzugsbehörde kann auf Gesuch des Verurteilten hin Electronic Monitoring (EM) anordnen für den Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen bis zu 12 Monaten (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB). Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist bei teilbedingten Strafen (anders als bei der Halbgefangenschaft) auf die Gesamtstrafe abzustellen, d.h., der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe in Form einer elektronischen Überwachung ist nur zulässig, wenn die ausgesprochene Strafe insgesamt nicht höher als 12 Monate ist (BGer, 6B_223/2021, 27. April 2022, E. 2.2.6). Da der Rekurrent zu einer Gesamtstrafe von 28 Monaten verurteilt wurde, war der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe, welcher 9 Monate beträgt, in Form von EM nicht möglich.

Der Rekursgegner wies das Gesuch um Verbüssung der Strafe in der besonderen Vollzugsform des EM somit zu Recht ab. Der Rekurs wurde abgewiesen.

Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):

Sachverhalt:

Mit Urteil vom 25. Mai 2022 sprach das Obergericht Zürich A. der Veruntreuung etc. schuldig und verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 180.– als Zusatzstrafe zur mit Strafbefehl vom 9. Juli 2020 ausgefällten Geldstrafe. Der Vollzug der vorgenannten Freiheitsstrafe wurde im Umfang von 19 Monaten aufgeschoben. Im Umfang von 9 Monaten sei die Freiheitsstrafe zu vollziehen. Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe) wies A. am 11. November 2022 darauf hin, dass er die Strafe allenfalls in der besonderen Vollzugsform der Halbgefangenschaft verbüssen könne. Nach einem ersten unvollständigen Gesuch stellte A. schliesslich mit E-Mail vom 14. März 2023 ein weiteres Gesuch um Verbüssung der Strafe in Halbgefangenschaft und legte einen entsprechenden Arbeitsvertrag bei. In der Folge wurde die Strafverbüssung in Form von Halbgefangenschaft mit Verfügung von JuWe vom 6. April 2023 bewilligt und A. befindet sich nach einer zwischenzeitlichen Verschiebung des Strafantritts seit dem 30. Mai 2023 im Regionalgefängnis Burgdorf in Halbgefangenschaft.

Am 5. Juni 2023 ersuchte A., vertreten durch […], bei JuWe um Verbüssung der Strafe in der besonderen Vollzugsform des Electronic Monitoring (EM). Gleichentags wies JuWe dieses Gesuch ab. Gegen diesen Entscheid erhob A. mit Eingabe vom 5. Juli 2023 Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Strafverbüssung in EM, eventualiter die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Mit Vernehmlassung und Untervernehmlassung vom 7. August 2023 beantragte JuWe die Abweisung des Rekurses und reichte die massgeblichen Akten ein. Mit Schreiben vom 21. und 24. August sowie vom 1. September 2023 nahm A. (nachträglich ergänzend) Stellung zur Vernehmlassung und reichte weitere Akten ein. Innert angesetzter Frist reichte JuWe am 31. August 2023 bzw. am 1. September 2023 eine freigestellte Stellungnahme ein. Auf eine weitergehende Stellungnahme zur nachträglichen Ergänzung von A. verzichtete JuWe gemäss Schreiben vom 4. Oktober 2023. Die Sachverhaltsermittlungen wurden daraufhin abgeschlossen.

Erwägungen:

1. [Prozessvoraussetzungen]

2.
Einleitend ist festzuhalten, dass das Vorbringen von A., es sei von der Staatsanwaltschaft stets und mehrfach in Aussicht gestellt worden, den unbedingten Anteil der Freiheitsstrafe mittels EM verbüssen zu können, nicht näher substantiiert wird. Es bleibt überdies unklar, worauf dieses Vorbringen abzielen soll, zumal auch A. bewusst sein musste, dass die Staatsanwaltschaft für die beantragte Strafe in der Anklageschrift zuständig ist. Selbst das Gericht entscheidet in diesem Sinne lediglich über die auszufällende Strafe und es ist Sache der Vollstreckungsbehörde, die Vollzugsmodalitäten und damit auch allfällige besondere Vollzugsmodalitäten der ausgefällten Strafe festzulegen.

3.

3.1 Die Vollzugsbehörde kann auf Gesuch des Verurteilten hin EM anordnen für den Vollzug einer Freiheitsstrafe oder einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen bis zu 12 Monaten (Art. 79b Abs. 1 lit. a Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 [StGB; SR 311.0]). Bei teilbedingten Strafen ist die Gesamtdauer der Strafe (bedingter und unbedingter Teil) massgeblich (Ziff. 1.2 lit. B der Richtlinien des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats für die besonderen Vollzugsformen vom 31. März 2017 [nachfolgend: «Richtlinien»]). Das Bundesgericht hielt unlängst ausdrücklich fest, dass «bei teilbedingten Strafen auf die Gesamtstrafe (bedingter plus unbedingter Teil der Strafe) abzustellen» sei, d.h., «der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe in Form einer elektronischen Überwachung ist nur zulässig, wenn die ausgesprochene Strafe insgesamt nicht höher als 12 Monate ist» (BGer, 6B_223/2021, 27. April 2022, E. 2.2.6). Damit bestätigte das Bundesgericht seine ständige Rechtsprechung (BGer, 6B_1253/2015, 17. März 2016, E. 2; 6B_51/2016, 3. Juni 2016, E. 5.4; 6B_1204/2015, 3. Oktober 2016, E. 1.4).

3.2 Im Gegensatz zum EM stellt das Bundesgericht für die massgebende Strafdauer bei der Halbgefangenschaft gemäss Art. 77b StGB im Falle einer teilbedingt ausgesprochenen Strafe auf den unbedingten Teil der Strafe (und nicht auf die Gesamtstrafe) ab. Es hielt ausdrücklich fest, dass das EM und die Halbgefangenschaft in Bezug auf die massgebende Strafdauer unterschiedlich zu behandeln seien (Urteile des BGer 6B_51/2016 vom 3. Juni 2016, E. 5.4; 6B_175/2011 vom 1. September 2011, E. 1.7).

3.3 Diese Unterscheidung lässt sich damit begründen, dass die verurteilte Person im Falle der Halbgefangenschaft ihre Ruhe- und Freizeit in der Institution eingeschlossen verbringt und dadurch viel enger überwacht und begleitet werden kann als im Rahmen des Electronic Monitoring, dessen Vollzug ausserhalb der Institution erfolgt. Es rechtfertigt sich daher, zur Halbgefangenschaft auch Freiheitsstrafen mit einem grösseren Unrechtsgehalt zuzulassen (vgl. Richtlinien, Fn. 5; Urteil des VGer VB.2019.00726 vom 23. März 2020, E. 3.2.3). Ausserdem entspricht es der ratio legis der teilbedingten Freiheitsstrafe, dass angesichts der Schwere des Verschuldens wenigstens ein Teil der Strafe vollzogen wird (BGE 134 IV 1 E. 5.5.1). Andernfalls stünde der Vollzug mittels elektronischer Überwachung sogar für schwere Delikte offen, sofern nur die zu verbüssende Reststrafe nicht mehr als ein Jahr betragen würde (Urteil des BGer 6B_1253/2015 vom 17. März 2016, E. 2.6; BBl 2012 4721 ff., 4748).

3.4 Die zur Anwendung gelangenden Richtlinien entsprechen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und sind vorliegend anwendbar. Da A. zu einer Gesamtstrafe von 28 Monaten verurteilt wurde, ist der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe, welcher 9 Monate beträgt, in Form von EM nicht möglich.

4.

4.1 Die von A. vorgebrachten Argumente vermögen daran nichts zu ändern. Soweit A. diesbezüglich auf die schwierige familiäre Situation hinweist, ist A. daran zu erinnern, dass Nachteile in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine dem Strafvollzug inhärente Folge sind. Die Schwierigkeiten im familiären Bereich und der damit verbundene Betreuungswunsch von A. bilden keine Grundlage, um von den gesetzlich vorgesehenen Zulassungsvoraussetzungen der besonderen Vollzugsform abzuweichen. Die Regelung der Betreuungsverhältnisse ist unter den gegebenen Umständen Aufgabe der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde. Überdies wurden die familiären Gegebenheiten im Vorfeld des Strafantritts bereits berücksichtigt, indem auf Ersuchen bzw. auf Hinweis der Beiständin der Antrittstermin verschoben wurde, damit eine Betreuung der Kinder an den Wochenenden sichergestellt werden konnte.

4.2 Die gesundheitliche Situation von A. gibt sodann ebenso wenig Anlass zur Abweichung von den gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen. Der Gesundheitszustand der verurteilten Person wird bei Eintritt in eine Strafanstalt durch medizinisches Fachpersonal abgeklärt (Art. 32 Abs. 4 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Bern [JVV/BE]). Die Vollzugseinrichtung hat mit einer ausreichenden medizinischen Versorgung für die körperliche und geistige Gesundheit der verurteilten Personen zu sorgen (Art. 61 JVV/BE). Es liegt in erster Linie am medizinischen Fachpersonal, also der Gefängnisärztin oder dem Gefängnisarzt, den Gesundheitszustand der gefangenen Person im Hinblick auf einen Vollzugsunterbruch abzuklären und die Auswirkungen des Strafvollzugs auf die gesundheitlichen Probleme einzuschätzen (BGer, 6B_1343/2016, 6. Februar 2017, E. 1.5). Leidet die verurteilte Person an physischen, psychischen oder geistigen Störungen, heisst dies in der Regel nicht, dass die Strafe nicht vollzogen werden könnte, sondern vielmehr, dass der Strafvollzug in angepasster Form (vgl. Art. 80 StGB) durchzuführen ist. Ob unterhalb der Schwelle der Hafterstehungsunfähigkeit eine Modifizierung des Vollzugs innerhalb des Regionalgefängnisses […] notwendig ist, ist durch den medizinischen Dienst des Gefängnisses abzuklären, welcher gemäss Ausführungen von A. denn auch bereits mit der Sache befasst sind. Dabei ist zu beachten, dass die medizinische und psychiatrische Versorgung in allen Haftanstalten gewährleistet ist und zwar gleichwertig wie ausserhalb des Strafvollzugs (sog. Äquivalenzprinzip, Resolution und Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates, Rec[1998]7; Art. 61 Abs. 3 JVV/BE).

4.3 Abschliessend ist festzuhalten, dass A. zu einer Gesamtstrafe von 28 Monaten verurteilt wurde und die Voraussetzungen für einen Vollzug in EM gemäss Art. 79b Abs. 1 StGB somit nicht erfüllt sind. Die angefochtene Verfügung vom 5. Juni 2023 ist demnach nicht zu beanstanden.

5.
Der Rekurs vom 5. Juli 2023 ist abzuweisen.

6.
Bei diesem Verfahrensausgang wird A. kostenpflichtig (§ 13 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]) und er ist nicht zu entschädigen (§ 17 Abs. 2 VRG).

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