0417

Entscheidinstanz
Direktion der Justiz und des Innern
Geschäftsnummer
JI 2023-1686
Entscheiddatum
21. August 2023
Rechtsgebiet
Straf- und Massnahmenvollzug
Stichworte
Bedingte Entlassung Unentgeltliche Verfahrensführung
Verwendete Erlasse
Art. 86 StGB § 16 VRG Art. 29 Abs. 3 BV

Zusammenfassung (verfasst von der Direktion der Justiz und des Innern):

Der Rekurrent wurde wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution und Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 10 Monaten (unter Anrechnung von 1'547 Tagen erstandener Haft) sowie einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 30.– verurteilt. Gleichzeitig wurde A. für 8 Jahre des Landes verwiesen. Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich lehnte die Entlassung des Rekurrenten auf den Zweidritteltermin hin ab, wogegen der Rekurrent vorging.

Das Vollzugsverhalten des Rekurrenten war als durchwegs positiv zu werten. Demgegenüber fiel sein Vorleben als stark belastend ins Gewicht. So wurde er zuvor bereits in B. mit Urteil aus dem Jahr 2011 wegen Zuhälterei und gewerbsmässigem Menschenhandel zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Einer Risikoabklärung war sodann zu entnehmen, dass der Rekurrent seine Taten bagatellisiere und nur eine geringe Problemeinsicht und Verantwortungsübernahme zu beobachten sei. Auch der Empfangsraum nach einer möglichen Entlassung zeigte sich insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht wenig erfolgsversprechend, zumal der Rekurrent die Delikte in B. gerade auch zusammen mit Familienangehörigen begangen hatte. Schliesslich war das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit auch vor dem Hintergrund der infrage stehenden Rechtsgüter als besonders hoch einzustufen.

Insgesamt war die abgelehnte bedingte Entlassung des Rekurrenten aus dem Strafvollzug nicht zu beanstanden. Der Rekurs wurde abgewiesen. Jedoch wurde dem Rekurrenten die unentgeltliche Verfahrensführung gewährt und ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.
 

Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):

Sachverhalt:

Mit Urteil des Bezirksgerichts […] vom 17. Januar 2023 wurde A. wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution und Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 10 Monaten (unter Anrechnung von 1'547 Tagen erstandener Haft) sowie einer Geldstrafe von 30 Tages¬sätzen zu je Fr. 30.– verurteilt. Gleichzeitig wurde A. für 8 Jahre des Landes verwiesen. Zwei Drittel der Freiheitsstrafe hat A. am 12. Mai 2023 erstanden. Das effektive Strafende fällt auf den 22. August 2025. Mit Verfügung vom 18. April 2023 lehnte Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich
(JuWe) die Entlassung von A. auf den Zweidritteltermin hin ab. Dagegen liess A., vertreten durch […], am 22. Mai 2023 Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern erheben. A. stellte dabei den Antrag, die vorgenannte Verfügung sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Staatskasse aufzuheben und A. sei die bedingte Entlassung zu gewähren. Eventualiter sei JuWe aufzufordern, eine neue Risikoabklärung einzuholen, den Sachverhalt neu zu prüfen und einen neuen Entscheid zu fällen. In prozessualer Hinsicht ersuchte A. überdies um unentgeltliche Prozessführung sowie Rechtsverbeiständung. Mit Vernehmlassung vom 26. Mai 2023 bzw. vom 6. Juni 2023 beantragte JuWe die Abweisung dieses Rekurses und reichte die massgeblichen Vollzugsakten gemäss separatem Verzeichnis ein. Innert angesetzter Frist reichte A. am 19. Juni 2023 eine Stellungnahme ein, mit welcher A. an den bereits gestellten Anträgen festhielt. Damit sind die Sachverhaltsermittlungen abgeschlossen.

Erwägungen:

1. [Prozessvoraussetzungen]

2.

2.1
Gemäss Art. 86 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln, mindestens aber drei Monaten seiner Strafe, bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde in Freiheit weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann; dabei hat sie diesen anzuhören und einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen (Art. 86 Abs. 2 StGB). Wird die bedingte Entlassung verweigert, so hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann (Art. 86 Abs. 3 StGB).

2.2
A. hat am 12. Mai 2023 zwei Drittel der Strafe verbüsst womit die zeitliche Voraussetzung gemäss Art. 86 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Näher zu prüfen ist die Legalprognose.

2.3
Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, die nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt (BGE 133 IV 201, E. 2.2 und 2.3, mit weiteren Hinweisen; Urteil des Bundesgerichts 6B_375/2011 vom 19. Juli 2011, E. 3.1). Bei der Abwägung der für und gegen die bedingte Entlassung sprechenden Punkte ist die Gefährlichkeit des Täters zu beurteilen und ob diese bei einer allfälligen Vollverbüssung der Strafe abnehmen, gleichbleiben oder zunehmen wird. Zudem ist zu prüfen, ob die bedingte Entlassung mit der Möglichkeit von Auflagen und Schutzaufsichten eher zu einer Resozialisierung des Täters führt als die Vollverbüssung der Strafe (BGE 124 IV 193 ff.).

2.4
Vorliegend ist unbestritten, dass das Vollzugsverhalten von A. positiv zu werten ist und einer bedingten Entlassung nicht entgegensteht. So habe sich A. gut in die Gruppe integriert und verhalte sich gegenüber dem Personal korrekt, freundlich und angepasst. A. habe keine Mühe, sich an die zeitlichen Abläufe und internen Strukturen zu halten und habe ein gepflegtes Erscheinungsbild und eine ordentliche Zelle. Schliesslich ist A. bis anhin in disziplinarischer Hinsicht nicht in Erscheinung getreten.

2.5
Als stark belastendes Element fällt demgegenüber das Vorleben von A. in Betracht. Hierbei ist insbesondere auf das Urteil aus B. vom 28. Januar 2011 zu verweisen, mit welchem A. der Zuhälterei und des gewerbsmässigen Menschenhandels schuldig gesprochen wurde. Entgegen den Ausführungen von A. wurde er dabei nicht zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, sondern zu einer solchen von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Weshalb auf diese Vorstrafe sodann nicht stark abgestellt werden könne, vermag A. ebenfalls nicht weiter darzulegen. Vielmehr ist damit erstellt, dass A. sich trotz dieser mehrjährigen Haftstrafe nicht davon hat abbringen lassen, in Freiheit umgehend wieder in einschlägiger Weise zu delinquieren. Ob dies bei der beantragten bedingten Entlassung anders verläuft, ist gerade Gegenstand der vorliegenden Prüfung.

2.6
In dieser Hinsicht kann zunächst auf die Risikoabklärung vom 28. Juni 2022 verwiesen werden. Dabei handelt es sich um ein aktenbasiertes Instrument, welches im Hinblick auf das Ziel der Rückfallprävention erstellt wird. Auch wenn es sich damit nicht um ein Gutachten eines Sachverständigen im Sinne von Art. 182 ff. der Strafprozessordnung (StPO) handelt, kann es – trotz entsprechenden Vorbehalten von A. – im Rahmen der hier vorzunehmenden Gesamtwürdigung beigezogen werden. Gestützt auf die im Laufe der Strafuntersuchung geführten Einvernahmen von A. sowie auf die Selbsteinschätzung im Rahmen der Eintrittserhebung in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies vom 4. August 2021 wurde dabei zusammengefasst festgehalten, dass A. die Taten bagatellisiere, zumal die begangenen Delikte im Heimatland nicht so verwerflich seien, da es viele Personen gebe, welche diesem Geschäft nachgehen würden. Auch die Gewaltanwendungen bagatellisiere A. stark und es sei eine geringe Problemeinsicht und Verantwortungsübernahme zu beobachten.

2.7
Sodann ist dem Vollzugsbericht der JVA Pöschwies vom 4. April 2023 zu entnehmen, dass die deliktrelevanten problematischen Aspekte in der Person und Umwelt von A. bis anhin aufgrund des bis Anfang dieses Jahres offenen Strafverfahrens nicht thematisiert bzw. bearbeitet worden seien. Zuletzt habe sich A. im Gespräch mit dem zuständigen Sozialarbeiter dahingehend geäussert, dass A. vor Gericht auf Anraten des Anwalts hin die Taten gestanden habe, welche die Staatsanwaltschaft A. vorgeworfen hätte. Dies deckt sich auch mit den entsprechenden Erwägungen im Urteil vom 17. Januar 2023, wonach das vollumfängliche Geständnis von A. erst an der Hauptverhandlung, mithin in einem relativ späten Verfahrensstadium und vor dem Hintergrund einer Beweislast, welche einen Schuldspruch auch ohne ein Geständnis ermöglicht hätte, erfolgte. Diese Umstände sprechen nicht für ein reuiges Nachtatverhalten von A..

2.8
Schliesslich habe A. gegenüber dem zuständigen Sozialarbeiter angegeben, die Verantwortung für den Menschenhandel und die Förderung der Prostitution zu übernehmen. A. sei diesem Geschäft nachgegangen, weil es aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in C. schwierig wäre, eine Arbeitsstelle zu finden. Es ist jedoch zu befürchten, dass sich an dieser problematischen Ausgangslage nichts geändert hat. Entsprechend unklar erweist sich damit die künftige Lebenskostensicherung sowie die Zukunftsperspektive von A., was sich negativ auf die Legalprognose auswirkt (vgl. BSK StGB I-KOLLER, N. 11 zu Art. 86 StGB, m.w.H.). Da A. keine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz hat und für 8 Jahre des Landes verwiesen wurde, müsste A. nach eigenen Angaben fürs Erste zurück nach C. zu seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn. Später wolle A. mit seiner Familie nach D. ziehen, wo seine Cousine wohnhaft sei und A. eine Stelle im Gartenbau vermitteln könne. Wie JuWe jedoch korrekt festhält, liegen weder eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung noch ein Arbeitsvisum oder -vertrag vor. Gemäss eigenen Angaben in den Vollzugsakten verfügt A. über keine berufliche Ausbildung und ist seit mindestens dem Jahr 2008 ausschliesslich als Zuhälter tätig. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Wiedereinstieg in den legalen Arbeitsmarkt äusserst schwierig. Wenn A. darauf hinweist, dass er über einen sozialen Empfangsraum verfüge, in welchem er wirtschaftlich vorankommen könne, ohne erneut wegen Mittellosigkeit zu delinquieren, ist daran zu erinnern, dass er die Vorstrafe in B. gerade auch zusammen mit Familienangehörigen erwirkt hat, wobei A. gemäss damaliger Anklage innerhalb des als Zuhältergruppierung agierenden Familienverbandes eine dominierende Stellung eingenommen habe. Wie im Vollzugsbericht vom 4. April 2023 festgehalten, ist angesichts dieser Umstände äusserst unklar, ob sich A. von seinem prokriminellen Umfeld zu distanzieren vermag.

3.

3.1
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass dem spezialpräventiven Zweck der bedingten Entlassung die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüberstehen, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind (BGE 125 IV 113, E. 2a; BGE 124 IV 193, E. 3 und 4d/aa). Da die vorliegenden Delikte sowohl eine gewalttätige als auch eine sexuelle Komponente aufweisen, ist das Risikopotenzial auch in dieser Hinsicht als hoch einzuschätzen.

3.2
Würde A. jetzt bedingt entlassen werden, bestünde somit eine erhöhte Rückfallgefahr. Demgegenüber hätte die Weiterführung des Strafvollzugs den Vorteil, dass die verbleibende Zeit für die vertiefte Förderung des Problembewusstseins und einer ernsthaften Veränderungsbereitschaft von A. genutzt werden könnte. So gilt zu bedenken, dass sich A. – wie bereits erwähnt – erst seit dem 17. März 2023 und damit verhältnismässig noch nicht lange im ordentlichen Strafvollzug befindet, weshalb die Aussicht auf eine Besserung durchaus noch intakt ist. Damit bestünde die Möglichkeit, dass sich die Rückfallgefahr von A. durch die Aufarbeitung seiner Taten senken liesse und er auf eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug aktiv hinwirken und damit eine Vollverbüssung der Freiheitsstrafen vermeiden könnte.

4.
Insgesamt ist die abgelehnte bedingte Entlassung von A. aus dem Strafvollzug demnach nicht zu beanstanden; sie lag im Rahmen des JuWe zustehenden Ermessens (vgl. BGE 133 IV 201, E. 2.3). Im Ergebnis ist der Rekurs demnach abzuweisen.

5.

5.1
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird A. kostenpflichtig (§ 13 Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]). Eine Parteientschädigung steht im nicht zu (§ 17 Abs. 1 VRG). Er liess indessen ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters stellen.

5.2
Privaten, welchen die nötigen Mittel fehlen und deren Begehren nicht offensichtlich aussichtslos erscheint, ist auf entsprechendes Ersuchen die Bezahlung von Verfahrenskosten und Kostenvorschüssen zu erlassen (§ 16 Abs. 1 VRG). Nach § 16 Abs. 2 VRG haben sie überdies Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Rechte im Verfahren selbst zu wahren (vgl. auch Art. 29 Abs. 3 der Bundesverfassung [BV]). Als offensichtlich aussichtslos sind Begehren anzusehen, bei denen die Aussichten zu obsiegen wesentlich geringer sind als die Aussichten zu unterliegen und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (KASPAR PLÜSS, Kommentar VRG, § 16 N 46). Eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, ist zur Nachzahlung verpflichtet, sobald sie dazu in der Lage ist. Der Anspruch des Kantons verjährt zehn Jahre nach Abschluss des Verfahrens (§ 16 Abs. 4 VRG).

5.3
Bei dem sich seit über vier Jahren im Strafvollzug befindenden A. ist davon auszugehen, dass er mittellos ist, zumal auch im Urteil vom 17. Januar 2023 seine finanziellen Verhältnisse dargelegt wurden und gestützt darauf die Tagessatzhöhe der Geldstrafe auf Fr. 30.– festgesetzt wurde. Sodann erweist sich sein Begehren als nicht offensichtlich aussichtslos. Aus diesem Grund ist A. die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen. Zudem lassen die sich stellenden Sachverhalts- und Rechtsfragen den Beizug einer Rechtsvertretung nicht von vornherein als ungerechtfertigt erscheinen. Daher ist das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters ebenfalls gutzuheissen und […] ist als unentgeltlicher Rechtsbeistand von A. im Rekursverfahren einzusetzen. Dem Rechtsvertreter ist Gelegenheit zu geben, eine Kostennote nachzureichen.

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