Wissen, wie News entstehen

Ein Pilotprojekt vermittelt Jugendlichen einen praktischen Einblick in die Medien. Mit an Bord sind ganz unterschiedliche Medienhäuser. Eine Klasse der Juventus Wirtschaftsschule war auf der Redaktion von «20 Minuten» und hat einiges über journalistische Arbeit und das Produzieren von Videos gelernt.

Text: Walter Aeschimann Fotos: Stephan Rappo

Die fünf Jugendlichen sind sich gar nicht einig. Sie diskutieren, ob die Moderation gelungen ist. Sie verhandeln, ob das «Ähhh» störend ist, ob der gesprochene Text zu lang ist oder zu kompliziert. Alessio Delli Gatti, der in die Kamera gesprochen hat, testet eine neue Version. Die sei «noch schlechter», finden die anderen. Mit dem dritten Versuch sind schliesslich alle einverstanden.

«Ich habe eine Freestyle- Moderation versucht. Aber es ist schwierig, vor der Kamera natürlich zu bleiben», sagt Delli Gatti. Er ist nicht der Einzige mit starken Gefühlen vor der Kamera. «Mist, ich bin so nervös», sagt ein anderer, oder: «Ich habe noch nie ein solches Mikrofon in der Hand gehabt. Das hat mich so glücklich gemacht.»

Die 17 Schülerinnen und Schüler absolvieren an der Juventus Wirtschaftsschule eine schulische Ausbildung zum Kaufmann respektive zur Kauffrau mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Die Klasse ist im dritten Semester und momentan in einer Projektwoche zum Thema «Praxisorientierte Einblicke in die Medienwelt».

«Ich habe noch nie so ein Mikrofon in der Hand gehabt.»

Schüler
zwei Jugendliche von hinten fotografiert beobachten die Arbeit in einem TV-Studio,
Unter Anleitung des Entertainment-Teams von «20 Minuten» lernen die Schülerinnen und Schüler, wie ein Video erstellt wird. Quelle: Stephan Rappo

Wir befinden uns am Sitz der TX Group AG an der Zürcher Werdstrasse, einer privaten Mediengruppe in der Schweiz. Zum Unternehmen gehört auch «20 Minuten», die kostenlose Schweizer Pendlerzeitung. Heute besuchen die Jugendlichen deren Redaktion.

Stefan Viliotti, Leiter des Entertainment-Teams bei «20 Minuten», zeigt ihnen zunächst die News-Redaktion: ein grosser, offener Raum, in dem viele Journalistinnen und Journalisten konzentriert und geschäftig vor dem Computer sitzen. Allein der Anblick entlockt ein leichtes Staunen: «Krass, wie viele hier arbeiten.»

In den Film-Studios umreisst Viliotti anschliessend in kurzen Worten den Auftrag seines Ressorts: «Wir sind ein Team, das Entertainment macht. Wir haben keinen Newsdruck, können dafür umso innovativer und kreativer sein.» Wichtig seien neben der handwerklichen Fertigkeit auch die Leidenschaft und die Motivation für diese Arbeit. Das Team produziert Videos und weitere Formate über latente Aktualitäten und allgemeine Gesellschaftsthemen.

Wider die Newsabstinenz

Die Juventus-Klasse nimmt an einem Pilotprojekt teil, das vom Institut für Journalismus und Kommunikation in Luzern (MAZ) angestossen worden ist. Es bietet 50 Schulklassen im Kanton Zürich in den Schuljahren 2024/25 und 2025/26 eine praxisorientierte Medienwoche an. Das Projekt wird von der Zürcher Bildungsdirektion und vom Medieninstitut des Verlegerverbands Schweizer Medien unterstützt und richtet sich an Sekundarschulen, Mittelschulen und Berufsfachschulen. «Mit der Medienwoche kommen die Schülerinnen und Schüler direkt in Kontakt mit der Rolle der Medien, dem Handwerk und der journalistischen Haltung», erklärt MAZ-Direktorin Martina Fehr. «Dies soll nicht nur die Newsabstinenz verringern, sondern auch die Wertschätzung für publizistische Arbeit stärken.»

In enger Begleitung durch eine Redaktion erstellen die Schülerinnen und Schüler einen eigenen schülerjournalistischen Beitrag im Video-, Audio-, Foto-, Grafik- oder Textformat zu einem selbst gewählten Thema. Teil dieser Woche ist ein Besuch in der betreuenden Redaktion. Wählbar sind neben «20 Minuten» auch das Schweizer Fernsehen, «WoZ Die Wochenzeitung», «Neue Zürcher Zeitung», «Republik», «Blick» oder «Tages-Anzeiger».

«Wenn etwas mehrmals vorkommt, denke ich, dass es wahr ist.»

Schülerin
Gruppe von Jugendlichen vor einem Laptop-Screen
Stefan Viliotti, Leiter des Entertainment-Teams von «20 Minuten» (Dritter von links), erklärt den Schülerinnen und Schülern, wie man einzelne Aufnahmen zu einem kurzweiligen Video schneidet. Quelle: Stephan Rappo

Für die Juventus-Klasse hat die Woche mit einer Einführung in das Videohandwerk begonnen. Dann hat sich die Klasse in drei Gruppen aufgeteilt. Der Auftrag für jede Gruppe war es, ein Video von etwa 45 Sekunden zu produzieren. Das Thema war völlig frei. Die Grundlagen einer Videoproduktion erklärte Stefan Viliotti ausführlich vor der Klasse. Mit dem Wissen sind die Gruppen losgezogen und haben auf der Strasse zufällig Menschen angesprochen. Eine Gruppe fragte nachbesonderen Wörtern aus ihrer Jugendsprache, die zweite hat interessiert, ob in Zürich die Menschen ehrlich sind, und die dritte wollte wissen, welche Zahlungsmittel Erwachsene benutzen. «Wir haben jeweils vorher geschaut, wer im Stress ist oder bereit wäre für ein Gespräch», verrät Jamie Rindisbacher die Taktik ihrer Gruppe. Grundsätzlich waren die Schülerinnen und Schüler überrascht, wie bereitwillig sie Antworten erhalten haben.

Viel schnelllebige Unterhaltung

Die Medien haben sich in den letzten Jahren rasant verändert. Mit dem Internet sind unzählige Online-Formate entstanden. Die Flut an Informationen ist immens. Es wird immer schwieriger, die Inhalte richtig einzuordnen. Eine kurze Umfrage unter den Jugendlichen dieser Klasse zeigt, dass sie kaum mehr gedruckte Zeitungen lesen, «ausser es liegt zufällig eine bei den Eltern auf dem Tisch». Sie informieren sich über die sozialen Medien, vor allem auf Tiktok und Instagram. «20 Minuten» schauen sie allenfalls online an.

Einige betrachten die sozialen Medien als schnelllebige Unterhaltung, kaum als seriöse Quelle für das Geschehen in der Welt. Und wenn sie sich für sogenannte News interessieren, dann eher auf der lokalen Ebene. Andere sind sich bewusst, dass viele Inhalte in den sozialen Medien kaum vertrauenswürdig sind. Sie haben diesen Widerspruch scheinbar akzeptiert und nehmen ihn eher locker hin. «Wenn etwas mehrmals vorkommt, denke ich, dass es wahr ist», sagt Wintana Kidane. «Ich weiss, dass vieles falsch ist. Ich recherchiere bestimmte Themen selbst über die Suchmaschine von Google», erzählt Delli Gatti.

hand hält handy, handyscreen ist zu sehen
Für die Jugendlichen ist der Redaktionsbesuch ein Erlebnis. Quelle: Stephan Rappo

Spannend zuschneiden

Zurück im Studio. Die An- und Abmoderation ist gedreht, die Bilder sind auf den Laptop übertragen. Nun beginnt der Video-Schnitt. Auf dem Bildschirm erscheint das Schnittprogramm, für Aussenstehende eine bunte Mischung aus Farben, Linien und Zahlen. «Wir kämpfen mit dem Video um Aufmerksamkeit. Es muss entsprechend kurzweilig geschnitten sein», erklärt Entertainment-Chef Viliotti. Routiniert verschiebt er mit dem Cursor digitale Bilder und Tonspuren, ändert den Bildausschnitt, setzt Effekte ein und optimiert die Farben. Die Gruppe «Ehrlichkeit» sitzt mit ihm am Tisch und diskutiert engagiert, welche Sequenzen sie haben will.

«Diese Frau spricht zu lange, das schneiden wir weg», meint eine Schülerin, ein anderer findet den zweiten Passanten «öde». Sie probieren verschiedene Varianten aus, ändern die Reihenfolge der Interviews und einigen sich schliesslich, das Gespräch mit der Frau zu kürzen. Julian Spatz ist Lehrer und Praktikumsbetreuer an der Juventus Schule. Er begleitet die Klasse in dieser Woche und sagt: «Der Einblick in die Medien ist wichtig. Wir konsumieren täglich verschiedene Medienprodukte und haben wenig Ahnung, woher sie kommen und wie sie entstehen. Allein dieses Wissen kann die Jugendlichen medial sensibler machen. Es ist wie der Besuch in einem Schlachthof. Danach wissen wir, woher das Fleisch auf unserem Teller kommt.»

«Das neu gewonnene Wissen kann die Jugendlichen medial sensibler machen. »

Julian Spatz, Lehrer

Marion Hüsser, Schulleiterin der Juventus Wirtschafts und Maturitätsschule, ergänzt: «Das Ziel des Projekts wurde erreicht, nämlich unter Anwendung von digitalen Tools und in einem praxisorientierten Umfeld die medialen, methodischen und sprachlichen Kompetenzen zu erweitern. Die Motivation war hoch, da sich die Lernenden das Thema selbst aussuchen durften.» Hüsser hofft, dass die Lernenden dank dieser Woche einen anderen Bezug zu den Medien entwickeln konnten und sich ihr Interesse für News ausserhalb von Tiktok und Instagram positiv verändern werde.

Viliotti zeigt sich überrascht, wie engagiert und interessiert die Jugendlichen an der Arbeit waren: «Es war richtig cool.» Wichtig sei, dass die Jugendlichen verschiedene Möglichkeiten ausprobiert und dieses Angebot auch genutzt hätten. So hätten sie am meisten profitieren können. «Dabei sollten sie nicht zu sehr auf den korrekten Bildausschnitt oder die optimale Qualität des Tones achten. Ein Ziel war auch, dass sie Medienangebote künftig bewusster, auch kritischer nutzen.»

Infos zur Medienwoche

  • Das «MAZ – Institut für Journalismus und Kommunikation» bietet 50 Schulklassen im Kanton Zürich in den Schuljahren 2024-26 die Möglichkeit einer praxisorientierten Medienwoche an. 
  • Das Projekt wird von der Zürcher Bildungsdirektion und vom Medieninstitut des Verlegerverbands Schweizer Medien unterstützt und richtet sich an Sekundarschulen, Mittelschulen und Berufsfachschulen. 
  • Die Medienwoche wird von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) wissenschaftlich begleitet.
junge frau hält mikrofon in der hand
Wie viel Zeit es für die Produktion eines kurzen News-Videos braucht, hat die Schülerinnen und Schüler überrascht. Quelle: Stephan Rappo

«Cooler Einblick»


Am letzten Tag der Woche präsentierte jede Gruppe «ihr» Video vor der Klasse. Im Anschluss an die Medienwoche erstellen alle eine Arbeit, die benotet wird. Darin sollen sie reflektieren, was die Wochefür sie bedeutet hat. So viel lässt sich jetzt schon sagen. Den Jugendlichen hat insbesondere der Tag auf der Redaktion «megaSpass» gemacht, und sie haben durch den «coolen Einblick» einiges mitgenommen. Etwa, dass sie die Videos nun «anders schauen» würden, weil sie gesehen hätten, was man mit den Bildern am Computer alles machen kann.

Sie waren auch erstaunt, wie viel Zeit es für die Produktion des kurzen Videos braucht. Delli Gatti hat vor allem die Arbeit am Schnittplatz gefallen. Yara Gyr hatte nicht erwartet,«dass es so gut wird», obwohl ihre Gruppe das Video nicht fertig geschnitten hat. «Unser Video ist das beste», sagt Jamie Rindisbacher selbstbewusst. Sie fand die Woche derart anregend, vor allem die spontanen Interviews auf der Strasse, dass sie später einen Job in der Medienbranche suchen möchte.

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