Ein Werkzeug­kasten fürs Leben

Auf das Schuljahr 2024/25 wurde im Kanton Zürich das gymnasiale Profil Philosophie, Pädagogik, Psychologie eingeführt. Worum es hier geht, veranschaulicht ein Besuch in der ersten PPP-Klasse der Kantonsschule Hottingen.

Text: Jacqueline Olivier Fotos: Dieter Seeger

«Natürliche versus künstliche Sprache» – so lautet das Thema der heutigen Lektion. Lehrer Rufus Butz schreibt es an die Tafel und möchte von den Schülerinnen und Schülern zuerst wissen, ob sie das Wort «versus» kennen. Ein Mädchen in der ersten Bankreihe kann es erklären: Es bedeute so viel wie gegen oder Gegensatz. Der Lehrer nickt und ergänzt: «Logik ist auf jeden Fall eine künstliche Sprache.» Entsprechend notiert er den Begriff unter «künstliche Sprache» auf der Tafel. Einführung in die Logik, darum geht es heute für die Klasse P1a der Kantonsschule Hottingen (KSH).

Bis zum Ende des Wintersemesters werden sich die Jugendlichen im Fach Philosophie mit den Grundlagen der sogenannten Aussagenlogik beschäftigen. In den Wochen zuvor ging es um die Grundlagen der Ethik und «Das gute Leben», nach den Sportferien stehen die Geschichte der Philosophie – zunächst die Antike – und die Fortsetzung des Themas Logik auf dem Programm. Die P1a gehört zu den ersten Klassen im Kanton Zürich, die im Profil Philosophie, Pädagogik, Psychologie – kurz PPP – unterrichtet werden.

Es wurde auf den Beginn des aktuellen Schuljahrs als sechstes Profil des Kurzgymnasiums eingeführt. Für die Kantonsschule Hottingen, die sich bisher als Schule mit wirtschaftlicher Ausrichtung positioniert hatte – Kurzgymnasium mit dem Profil Wirtschaft und Recht, Handelsmittelschule (HMS) undInformatikmittelschule (IMS) –, bedeutet der Schwerpunkt PPP eine Horizonterweiterung. Oder wie Rektor Daniel Zahno erklärt: «Angesichts der stetig wachsenden Schülerzahlen der HMS wollen wir mit diesem zusätzlichen Profil vor allem das Gymnasium stärken und ein thematisches Gegengewicht setzen.» Dass dieses Profil offensichtlich mehr Mädchen an die bisher eher «bubenlastige» Schule bringt, sei ein positiver Nebeneffekt. Tatsächlich kommen in der Klasse P1a auf 19 Schülerinnen gerade einmal eine Handvoll Schüler.

Lehrer steht vor Tafel vor der Klasse
In der Philosophiestunde von Rufus Butz geht es an diesem Tag um die Einführung in die Logik. Quelle: Dieter Seeger

Thematische Überschneidungen

Das neue Profil passe auch gut zum Akzent Ethik und Ökologie, den interessierte Schülerinnen und Schüler beim Eintritt indas Gymnasium Hottingen als Vertiefung des Profils Wirtschaft und Recht wählen können, sagt Rufus Butz. Dieser Akzent beinhalte eine recht starke philosophische Komponente. Und Rektor Zahno betont: «Das neue Profil ist ausserdem attraktiv für die Lehrpersonen, gilt bei uns doch die Devise, dass alle in allen Abteilungen unterrichten.»

Philosophie als Fach ist für die KSH zudem kein Neuland, es wurde bisher und wird auch weiterhin als Ergänzungsfach angeboten. Ein solches wählen die Schülerinnen und Schüler jeweils für das letzte Schuljahr, weshalb Rufus Butz erklärt: «Die grösste Herausforderung bestand für uns darin, das Fach schon auf Erstklässler und auf die Dauer von vier Schuljahren auszurichten.» Für die anderen zwei P – Pädagogik und Psychologie, die in einem Fach zusammengefasst sind – kann man sich auf zwei Lehrerinnen abstützen, die zuvor auch in anderen Kantonen, in denen PPP schon länger angeboten wird, unterrichtet haben.

Dass die drei Disziplinen im Rahmen eines Profils zusammengefasst werden, ergibt durchaus Sinn, wie ein Blick auf die Darstellung «PPP auf einen Blick» auf der Website der Schule zeigt. Darauf sind Fragen formuliert, die dem Unterricht zugrundeliegen, zum Beispiel: «Was macht mich zur Person, die ich bin?», «Was beeinflusst mein Erleben?», «An welchen Werten soll ich mich orientieren?», «Gibt es eine gute Erziehung?», «Wie hängen Körper und Geist zusammen?», «Was macht eine gute Regierung aus?» oder«Wie organisiert sich der Mensch in Gruppen?». Die Fragen sind mit Farben – grün, lila, blau – unterlegt, die jeweils für einen der drei Fachbereiche stehen. Bei fast allen Fragen sind es zwei oder manchmal sogar alle drei Farben, es gibt also zahlreiche Schnittmengen.

PPP an 14 Zürcher Kantis

Der Lehrplan gibt einen detaillierten Einblickin die Inhalte. In der Philosophie geht es ab der 2. Klasse weiter mit zwei wichtigen philosophischen Theorien, mit angewandter Ethik, mit der Philosophie der Aufklärung und der politischen Philosophie. Auch in Psychologie und Pädagogikwerden zuerst wesentliche Grundlagenvermittelt, etwa unterschiedliche Sichtweisen zur Erklärung menschlichen Verhaltens, die Bedeutung von Emotion und Motivation für das menschliche Leben oder die Bedeutung der eigenen Lernbiografie.

Darauf aufbauend setzen sich die Schülerinnen und Schüler später mit verschiedenen Entwicklungen auseinander – Lebensabschnitte, kognitive und sprachliche Entwicklung oder Theorien zur Entwicklung des moralischen Urteilens und der Identität. Ab der 3. Klasse geht es schliesslich um Notwendigkeit und Aufgaben der Erziehung, um Kommunikation und Interaktion oder um Grundbegriffe der Persönlichkeitspsychologie.

Portrait von drei Schülerinnen und einem Schüler der gymnasialen Oberstufe im Klassenzimmer
Thomas, Romina, Maxine und Sophia gehören zu den ersten Schülerinnen und Schülern im Kanton Zürich, die das neue Profil PPP wählen konnten. Quelle: Dieter Seeger

«Psychologie und Philosophie kann man auf viele Fächer beziehen. Ausserdem diskutiere ich sehr gern.»

Maxine, Schülerin

Für den Aufbau des Profils sowie die Definition von Lernzielen und -inhalten hat man sich an den Richtlinien des Bundes und an der Umsetzung in anderen Kantonen orientiert, es habe aber auch ein Austausch unter den Zürcher Kantonsschulen stattgefunden, die PPP anbieten, erzählt Rufus Butz. Und das sind immerhin 14 von 23. In ihrem Einzugsgebiet ist die Kantonsschule Hottingen aber die einzige, die nächstgelegene Schule ist das Literargymnasium Rämibühl, dessen Kurzgymnasium jedoch nur Schülerinnen und Schülern offensteht, die zuvor ein Langgymnasium besucht haben.

An der KSH, die ein reines Kurzgymnasium führt, können sowohl Jugendliche aus der Sekundarschule als auch solche, die aus einem Lang- ans Kurzgymnasium wechseln wollen, das Profil PPP belegen. Gespannt sind Daniel Zahno und Rufus Butz jedenfalls, wie es nun weitergeht. Werden die Anmeldezahlen steigen,wenn das neue Profil unter den nachfolgenden Schülerjahrgängen bekannter wird? «Was wir aber sicher nicht wollen», macht Rufus Butz klar, «sind Schülerinnen und Schüler mit falschen Erwartungen an den Bereich Psychologie. Es geht hier nicht um Inhalte, die der Selbsttherapie dienen.»

Lernen, «was wie funktioniert»

In seinem heutigen Unterricht ist das Thema jedenfalls unmissverständlich: Was ist eine natürliche und was eine künstliche Sprache? Die Jugendlichen sind konzentriert bei der Sache. Eine Schülerin bringt die Sprache von Tieren aufs Tapet, ist sich aber unsicher, wo diese zuzuordnen ist. Zu den natürlichen Sprachen, allerdings mit Einschränkungen, meint Rufus Butz und notiert «Tiersprachen» in der entsprechenden Spalte auf der Tafel. «Menschliche Sprachen», wirft gleich jemand ein, und der Lehrer nickt. «Genau, die einen sprechen Deutsch, die anderen vielleicht Französisch.» Eine Schülerin will wissen, ob Körpersprache auch eine natürliche Sprache sei. «Ja, das kann man so sehen», findet Rufus Butz.

Und Bilder? Die kommen in die Spalte der künstlichen Sprachen, wie auch Mathematik oder Informatiksprachen. «Was unterscheidet also natürliche von künstlicher Sprache?», fragt der Lehrer schliesslichdie Klasse. Aus den Antworten lässt sich zusammenfassen: Natürliche Sprachen dienen der Kommunikation, sie werden gesprochen und sind situationsabhängig – man kann diskutieren, streiten oder lügen. Sie sind nicht immer eindeutig,es gibt zum Beispiel Wörter, die je nach Kontext etwas anderes bedeuten. Auch Ironie, Metaphern, Auslassungen oder Anspielungen kommen vor. Die künstlichen Sprachen hingegen wurden entwickelt, um Eindeutigkeit respektive Klarheit zu schaffen.

Unterrichtssituation, Lehrer steht vor Tafel
Was ist eine natürliche und was eine künstliche Sprache? In der Philosophiestunde von Rufus Butz stellen die Schülerinnen und Schüler viele Fragen. Quelle: Dieter Seeger

«Ich muss noch meine Interessen finden.»

Thomas, Schüler

«Sehr spannend» findet die Schülerin Sophia solche Themen. Von einer Kollegin, die in einem anderen Kanton das Gymnasium besucht, hat sie vom Profil PPP erfahren und dieses nun ebenfalls gewählt. «Man lernt, was wie funktioniert», sagt sie und fügt mit hörbarer Begeisterung hinzu: «In Pädagogik und Psychologie sprechen wir gerade über Sinneswahrnehmung.» Maxine hat ihr Interesse an Psychologie dank ihrer Mutter entdeckt, die als Psychotherapeutin arbeitet. «Psychologie kann man auf viele Fächer beziehen», sagt sie. Das Gleiche gelte für die Philosophie. «Ausserdem diskutiere ich sehr gern.»

Thomas ist grundsätzlich neugierig auf Neues, wobei er mit der Pädagogik bislang am wenigsten anfangen kann. Romina wiederum sieht im Profil PPP einen Werkzeugkasten fürs Leben. «Egal, in welche Richtung man später gehen will – Philosophie und Psychologie sind im Zusammenhang mit Menschen immer wichtig.»

Apropos Richtung: Wissen die vier Jugendlichen, die zwischen 14 und 16 Jahre alt sind, bereits, was sie später machen möchten? Sophia auf jeden Fall: «Ich will im medizinischen Bereich arbeiten, da ist es sicher passend, wenn man etwas über Psychologie und Pädagogik weiss.» Maxine interessiert sich stark für Biologie und sieht da durchaus einen Zusammenhang mit der Psychologie. Für Romina ist die Sache noch nicht so klar: Einerseits liebäugelt sie mit Physik und Mathematik, andererseits kann sie sich auch vorstellen, Philosophie zu studieren. Noch gar nicht festlegen möchte sich Thomas: «Ich muss erst noch meine Interessen finden.»

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