Im Tanz die eigene Stimme finden

Wer gerne tanzt, findet an den Gymnasien Rämibühl die besten Voraussetzungen dafür. Als Höhepunkt findet einmal im Jahr der DanceXChange statt. Hier zeigen die Tanzenden, was sie für die Bühne und fürs Leben gelernt haben.

Text: Ruth Hafen Fotos: Dieter Seeger

Es ist heiss an diesem letzten Freitagnachmittag im August. Die Sonne knallt erbarmungslos auf das Sporthallenprovisorium am Gloriarank in der Nähe der
Universität Zürich. Drinnen, in zwei Hallen im ersten Stock, ist das Raumklima angenehm. Die Sonne schmuggelt ihr Licht durch die Holzlamellen vor den Fenstern, die Hitze bleibt draussen. Für den Anstieg der Raumtemperatur werden schon bald rund 30 Mädchen und zwei Jungs sorgen. Um 16.15 Uhr beginnt die Tanzstunde mit Rachel Tinguely und Elfi Schäfer-Schafroth. Schülerinnen und Schüler von der 1. bis zur 6. Klasse der Gymnasien Rämibühl kommen hier in die Tanzgruppe – mit verschiedenen Vorkenntnissen.

Viele kennen einander schon, einige sind neu hier. Darum stellen sich Rachel Tinguely und Elfi Schäfer erst vor. Dann werden drei Gruppen gebildet; die zwei grösseren bleiben in der Halle, eine kleinere zügelt mit Elfi Schäfer nach nebenan. Dort warten schon die Gummistiefel – doch davon später.

Jetzt geht es ums Warm-up. Die Musik setzt ein, Rachel Tinguely zeigt die Übungen vor dem Spiegel, der eine ganze Wand einnimmt. Nachdem alle aufgewärmt sind, arbeiten die Gruppen an einzelnen Bewegungsabläufen und kurzen Choreografie-Elementen, die nach vielen Stunden Arbeit zu einem neuen Ganzen zusammenwachsen werden: als neues Stück am DanceXChange 18 Special an drei Abenden im Mai 2025 in der Aula Rämibühl.

Eine erwachsene Frau und drei Mädchen heben das rechte Bein und den rechten Arm.
Elfi Schäfer-Schafroth übt mit ihrer Gruppe den Gumboot Dance. Quelle: Dieter Seeger

Baby und Turtle Freeze

Noe Sitter, die 2023 am Realgymnasium Rämibühl (RG) ihre Matur gemacht hat, unterstützt die Profis Tinguely und Schäfer als Assistentin im Unterricht. Die Zwanzigjährige übt mit ihrer Gruppe sogenannte Freezes. So werden im Breakdance Posen genannt, die die Tänzerin einnimmt und dabei kurz in der Bewegung verharrt.

Heute übt Noe mit ihrer Gruppe den Baby Freeze und den etwas anspruchsvolleren Turtle Freeze. Hält ein Mädchen besonders lang die Position, applaudieren die anderen spontan.

Das angenehme Raumklima ist eben nicht nur ausgeklügelter Architektur und moderner Lüftungstechnik geschuldet: In dieser Tanzgruppe dominieren Wohlwollen und Hilfsbereitschaft.

Zusammenhalt und freundlicher Umgang sind etwas, was Rachel Tinguely und Elfi Schäfer fördern wollen: «Alle sind willkommen, unabhängig von ihrem Niveau», erklärt Tinguely. «Wir sagen niemandem, du bist zu schlecht, zu dick, zu gross. Wichtig ist, dass sie mitmachen wollen. Vorne tanzen diejenigen, die schon länger dabei sind, die Neuen rücken mit der Zeit nach.»

Während Rachel Tinguely und Noe Sitter mit ihren Gruppen an Moves und Freezes arbeiten, macht sich Elfi Schäfer mit ihren Eleven nebenan an den Gumboot Dance. Dieser Gummistiefel-Tanz sei in Südafrika entstanden, erklärt sie, wo sich die schwarzen Arbeiter in den Goldminen der Weissen unter schlimmsten Arbeitsbedingungen behaupten mussten und diesen Tanz als Mittel der Kommunikation und als perkussive Ablenkung entwickelten.

Ein Mädchen macht eine Breakdance-Figur am Boden einer Gruppe von Schülerinnen vor.
Assistentin Noe Sitter probt mit einer Gruppe Schülerinnen. Sie hat selbst am Realgymnasium Rämibühl Matur gemacht. Quelle: Dieter Seeger

In kürzester Zeit erarbeitet Schäfer mit ihrem Grüppchen ein beeindruckendes Stückchen Choreografie, das sie später den Gspänli vortanzen werden. Ein Stückchen Choreografie, das verrät, in welche Richtung es geografisch und inhaltlich gehen wird beim nächsten DanceXChange: unter anderem nach Südafrika.

Die Tanzgruppe Rämibühl wird zusammen mit den Pantsula-Tanzenden des Fishers of Man Arts Project das Thema Herkunft ausleuchten. Die Pantsula-Tanzkultur stammt aus den Townships in Südafrika.

Im Rahmenprogramm entwickeln die Schülerinnen und Schüler eigene Szenen zum Thema Migration, Flucht und Vertreibung. Im Tanztheater «BackGround», dem Kernstück der Aufführung, wird das Thema mit den Pantsula-Tänzern und einer zeitgenössischen Tänzerin, die in der Schweiz als Tochter eines Verdingbubs aufgewachsen ist, erarbeitet. «Indem wir die Fishers of Man mit der Geschichte der Schweizer Verdingkinder und den Jugendlichen verbinden, wollen wir aufzeigen, wie man aus schwierigen Verhältnissen heraus seine Stimme, sein Vertrauen finden kann. Unsere Antwort hier ist: durch Tanz», sagt Elfi Schäfer zum neuen Programm.

Schülerinnen und Schüler stellen sich zu einem Quadrat zusammen.
Dicht gedrängt: Wie schaffen es alle in das Flüchtlingsboot respektive auf das blaue Tuch? Indem alle einander helfen. Quelle: Dieter Seeger

Grosser Goodwill der Gymnasien

Dank ihrer über 40 Jahre andauernden Karriere als professionelle Tänzerin hat Elfi Schäfer ein globales Netzwerk, mit dem es ihr gelingt, internationale Acts von überallher ans Rämibühl zu holen. Aber es braucht mehr. Neben den regulären sechs Wochenstunden Tanzunterricht und den Intensivwochen vor den Aufführungen investieren die beiden Frauen je über hundert Stunden für Vorbereitung, Organisation, Schreiben von Förderanträgen etc.

Und kein einziger DanceXChange ginge über die Bühne ohne die finanzielle Unterstützung und den Goodwill der drei Gymnasien Rämibühl: Literargymnasium, Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium, Realgymnasium.

Tobias Weber, Rektor des Realgymnasiums, sagt dazu: «Der Tanz vermittelt neben der Freude an der Bewegung auch wichtige Selbstkompetenzen. Wir sehen unser Engagement für den Tanz und die Tanzgruppe Rämibühl daher auch als ein Engagement für eine umfassende Bildung junger Menschen. Diese beinhaltet neben der intellektuellen Bildung auch den kreativen Ausdruck, den Auftritt vor Publikum, die Entwicklung eines positiven Körpergefühls sowie die künstlerische und organisatorische Zusammenarbeit in der Gruppe und auf ein gemeinsames Ziel hin.»

«Der Tanz verbindet uns. Tanzen gibt mir Selbstvertrauen.»
Gianna Sidler, Schülerin

Ein Event wie der DanceXChange erfordert von allen Beteiligten eine gute Kommunikation und ein klares Bekenntnis der Schulleitungen. Tinguely und Schäfer: «Wir sehen, wie sehr die Schulen dieses Projekt schätzen, auch die Schülerinnen und Schüler spüren das. Sie werden für ihren Einsatz im Tanzprojekt gelobt und für Vorbereitungen und Proben vom Unterricht freigestellt.» Zudem habe das Rämibühl eine wunderbare Aula für die Aufführungen, und der Bühnenmeister sei ein Lichtprofi: ideale Voraussetzungen für erfolgreiche Tanzprojekte.

Eine Frau jongliert einen Plastiksack auf dem Kopf.
Rachel Tinguely balanciert einen der bunten Plastiksäcke auf dem Kopf. Quelle: Dieter Seeger

Empathie und Selbstvertrauen

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir: Hier in der Tanzgruppe zeigt sich, wie wahr diese Worte sein können. Gianna Sidler (16) und Emilie Hoffmann (17) sind beide seit der 1. Klasse mit dabei. Was lernen sie hier fürs Leben?

Emilie, die gerne eigene Choreografien macht, hat gelernt, ihre Erwartungen an andere einem Realitätscheck zu unterziehen: Was sie kann, darf sie nicht von anderen erwarten. «Ich musste lernen, mich in andere hineinzudenken, ich muss flexibel sein und mich anpassen. So wie ich mir eine Choreo am Anfang ausdenke, wird sie am Schluss nie!», sagt sie lachend.

Gianna, die sich auch schon an Choreografien versucht, mag besonders den Zusammenhalt in der Gruppe: «Hier ist es megacool, ich finde es schön, eine Bezugsgruppe ausserhalb der Klasse zu haben. Der Tanz verbindet uns. Tanzen gibt mir Selbstvertrauen.»

Und Noe Sitter, die sich von der Schülerin zur Assistentin entwickelt hat? «Ich habe hier in der Tanzgruppe Freundinnen gefunden aus verschiedenen Altersstufen. Man wächst zusammen und hilft einander. Der Tanz ist unsere gemeinsame Sprache. Ich habe schon drei Choreos auf die Bühne gebracht und dabei meine Stimme gefunden. Ich habe gelernt, mich auf die Bühne zu stellen und den Raum mit meiner Präsenz zu füllen. Das macht mich stark.» Und sie weiss nun auch einiges über Anatomie, über Knochen und Muskeln. Das kann sie gut gebrauchen, wenn sie demnächst Humanmedizin an der Uni Zürich studiert. Aber tanzen wird sie weiter, zum Ausgleich, aus Leidenschaft und aus Freude am DanceXChange.

DanceXChange

DanceXChange ist eine Veranstaltungsreihe, in der die Tanzgruppe Rämibühl einen Tanzabend mit professionellen Tanzschaffenden aus vielen Regionen der Welt teilt. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten mit professionellen Tanzschaffenden zusammen: Sie tanzen in deren Stücken mit oder gemeinsam mit den Gästen in eigens für DanceXChange geschaffenen Choreografien. Dazu tanzen sie Stücke aus dem stetig wachsenden Repertoire der Tanzgruppe und zeigen eigene Kurzstücke. Der nächste DanceXChange geht im Mai 2025 in der Aula Rämibühl über die Bühne mit dem Tanztheater «BackGround» von Tanzprojekt Elfi Schäfer-Schafroth und Fishers of Man Arts Project sowie mit einem Rahmenprogramm der Tanzgruppe Rämibühl. Aufführungen: Freitag, 23. Mai 2025, 19.30 Uhr, Samstag, 24. Mai 2025, 17 Uhr, Dienstag, 27. Mai 2025, 19.30 Uhr. Schulklassen können die Aufführungen über Schule und Kultur gratis besuchen. Auch Workshops können gebucht werden.
www.schuleundkultur.ch