Klassen unterstützen, Schulen entlasten

An vielen Schulen im Kanton Zürich sind Schulassistentinnen und -assistenten angestellt. Bei einem Besuch in der Sekundarschule Stadel zeigt Rahel Dürler ihren Berufsalltag. Ausserdem berichten zwei Expertinnen der Pädagogischen Hochschule Zürich über das Potenzial der Schulassistenz.

Text: Martina Bosshard Fotos: Marion Nitsch

In der Mittagspause sind sie von einem Platzregen überrascht worden. Für die erste Nachmittagslektion kommen die Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Stadel deshalb sehr zügig und leicht durchnässt ins Klassenzimmer. Die Schulassistentin Rahel Dürler begleitet Lars, der wegen einer Muskelerkrankung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, an seinen Platz und hilft ihm beim Ausziehender Jacke. Der Lehrer Remo Weishaupt ist schon im Raum. Bevor er mit dem Unterrichtbeginnt, wechselt er ein paar Worte mit Rahel Dürler zum Ablauf der Stunde.

Eine Frau steht am Pult neben zwei Jugendlichen, die in ein Heft schreiben.
Schulassistentin Rahel Dürler unterstützt Schüler und Schülerinnen zum Beispiel beim Erfüllen von Aufträgen oder holt sie zurück, wenn sie unruhig sind. Quelle: Marion Nitsch

Gruppenarbeit zu Körpersprache

An diesem Montag geht es in der Lektion um das Thema «Nonverbale Kommunikation». Nach der Einleitung teilt der Lehrer die Klasse in zwei Gruppen ein. Eine wird von ihm angeleitet, die andere moderiert Rahel Dürler. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Kärtchen mit Begriffen, die sie nachspielen, wie zum Beispiel: «den Kopf hängen lassen». «In welcher Situation macht ihr das?», fragt die Schulassistentin. «Wenn ich die Geschirrspülmaschine ausräumen soll», meint ein Schüler. Später diskutieren die Jugendlichen untereinander, wie andere Personen Gesten wie «Arme verschränken» oder «mit den Schultern zucken» wahrnehmen.

Nach der Gruppenarbeit übernimmt der Lehrer wieder die ganze Klasse. Während der Lektion – und auch in der anschliessenden Englischstunde – sorgt Rahel Dürler dafür, dass Lars immer das passende Buch oder das Tablet vor sich hat. Abgesehen davon braucht er ihre Unterstützung nicht. Rahel Dürler geht durch den Raum und setzt sich manchmal kurz neben eine Schülerin, die bei einer Aufgabe ansteht, oder zu einer Gruppe, die gerade abgelenkt wirkt.

«Meine Arbeit hat viel mit Beobachtung zu tun. Manche Jugendliche träumen, schwatzen oder sind unruhig. Wenn mir dies auffällt, gehe ich auf sie zu und hole sie wieder in den Unterricht zurück», erklärt Rahel Dürler. Auch unterstützt sie einzelne Schülerinnen und Schüler, die vom Lehrer eine besondere Aufgabe, wie beispielsweise «lesbarer schreiben» oder «während des Unterrichts nicht auf dem Tablet zeichnen», erhalten haben. «Ich bespreche mit ihnen, wie sie zurechtkommen, und helfe, wenn sie Mühe haben», sagt Rahel Dürler. Mit einem Schüler übt sie das Lesen. «Wir lesen gerade zusammeneinen Text von Kafka und spielen einige Szenen nach», erzählt sie. «Das macht richtig Spass.» Ausserdem hält sie die Absenzen von Schülerinnen und Schülern fest und macht Abklärungen, wenn jemand ohne Abmeldung fehlt. Beim Werken ist sie sehr präsent, weil dabei viele Jugendliche schnell den Fokus verlieren.

Konditorin und Hotelfachfrau

Seit über acht Jahren arbeitet Rahel Dürler als Schulassistentin in der Oberstufe. Ursprünglich hat sie eine Konditorinnenlehre abgeschlossen und danach die Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht. Berufserfahrung sammelte sie unter anderem bei einer Schifffahrtsgesellschaft und bei der Leitung eines Cafés. Sie fand den Weg in den Bildungsbereich während der Schulzeit ihrer drei Kinder. Zuerst engagierte sie sich im Elternrat, später war sie auch in der Schulpflege einer Heilpädagogischen Schule aktiv.

«Schulassistenzen können die Lehrpersonen entlasten und einen grossen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler bieten», sagt Denise Da Rin, Leiterin des Zentrums Fachdidaktiken und Mehrsprachigkeit der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH). Gemeinsam mit Adina Baiatu, Dozentin am gleichen Zentrum, hat sie ein Praxishandbuch für Schulassistenzen, Lehrpersonen und Schulleitungen verfasst. «Die Schulassistenz hat sehr viel Potenzial. Voraussetzung für einen erfolgreichen Einsatz ist jedoch, dass die Personen sorgfältig rekrutiert, eingearbeitet und angeleitet werden», erläutert Denise Da Rin. Die Schulleitung müsse vorab klären, welche Bedürfnisse die Schule und die Lehrpersonen hätten. Auch sei es sinnvoll, eine langfristige Zusammenarbeit anzustreben und in die Weiterbildung der Schulassistenzen zu investieren.

Vielfältiges Aufgabenfeld

Statt von Schulassistenzen wird manchmal auch von Klassenassistenzen gesprochen. Die Expertinnen der PHZH halten die Bezeichnung «Schulassistenz» aber für passender. Dies, weil sich die Unterstützung nicht auf den Unterricht beschränkt, sondern auch in anderen Bereichen stattfindet, wie beispielsweise in der Tagesbetreuung oder bei der Organisation und Durchführung von Anlässen.

Für die Schulassistenz geeignet seien Personen, die Sozialkompetenz, Interesse an Kindern und Pädagogik sowie Freude an der engen Zusammenarbeit mit Lehrpersonen hätten. Wichtig seien auch gute Deutschkenntnisse, Flexibilität und die Bereitschaft zum Lernen.

«Schulassistenz» ist keine offizielle Berufsbezeichnung, für die Tätigkeit gibt es auch keine anerkannte Ausbildung. Je nach Arbeitsort können die Anstellungsbedingungen und die Aufgaben unterschiedlich ausfallen. Für die Anstellung der Schulassistentinnen und -assistenten sind die Gemeinden zuständig.

Das Volksschulamt des Kantons Zürich hat für die Schulen und Schulpflegen Informationen und Empfehlungen zusammengestellt. Sie betreffen die Rekrutierung, die Entlöhnung, die Einarbeitung und den Einsatz der Personen. Thematisiert wird auch, dass die Schulassistentinnen und -assistenten einen wichtigen Beitrag für das «System Schule» leisten, die Verantwortung für die Schülerinnen und Schüler und die Unterrichtstätigkeit aber immer bei der Lehrperson bleiben muss.

«Schulassistenzen dürfen nicht als Ersatz für ausgebildete Fachkräfte eingesetzt werden», betont auch Denise Da Rin. Der Fokus der Tätigkeit als Schulassistenz solle auch nicht auf einzelnen Kindern liegen, die einen besonderen Bildungsbedarf hätten. «Gerade für diese Kinder ist es wichtig, dass sie im Schulalltag von pädagogisch geschulten Fachpersonen begleitet werden», sagt sie.

Mehr Frauen als Männer

Seit acht Jahren entwickelt und leitet Adina Baiatu Kurse für Schulassistenzen. «Die Teilnehmenden haben unterschiedliche berufliche Hintergründe wie zum Beispiel Flugbegleiterin, Marketingfachfrau, Sozialarbeiter oder Juristin», sagt sie. Die Dozentin hält die Vielfalt für einen Vorteil, denn die Schulen können von der Lebens- und Berufserfahrung der Personen profitieren. Zum Beispiel, wenn sich eine Schneiderin beim Unterricht «Textiles und Technisches Gestalten» einbringt.

Die Mehrheit der Kursbesucherinnen und -besucher – dies spiegelt die allgemeine Beschäftigungssituation in den Schulen – sind Frauen. Viele schätzen es, dass die Tätigkeit als Schulassistentin in der Regel gut mit der Betreuung der eigenen Kinder vereinbar ist.

Wichtige Themen der Kurse sind die Klärung der Rollen und der Verantwortlichkeiten: Wofür sind die Schulassistenzen zuständig und wofür die Lehrpersonen? Auch über die Abgrenzung in der Freizeit wird gesprochen, zum Beispiel, wie man reagieren kann, wenn man im Supermarkt von Eltern auf den Unterricht angesprochen wird. Ausserdem seien die Schulassistentinnen und -assistenten sehr interessiert an pädagogischen Themen, wie zum Beispiel an der Förderung der Motivation oder der Konzentration der Schülerinnen und Schüler, fügt Adina Baiatu hinzu. Zurück in Stadel. Befragt zur Rolle der Schulassistenz, sagt Elias aus der 2. Sekundarklasse: «Schulassistenzen sind Personen, die dn Lehrpersonen helfen. Und auch Fragen beantworten können.»

Die Mitschülerinnen Liana und Sofia äussern sich so zu «ihrer» Schulassistentin: «Frau Dürler ist sehr nett und gibt uns Tipps.» Lehrer Remo Weishaupt schätzt die Zusammenarbeit: «Mit Frau Dürler tausche ich mich dazu aus, wie sich die einzelnen Schülerinnen und Schüler entwickeln. Wir besprechen, wer Fortschritte macht und wer mehr Unterstützung braucht. Ihre Einschätzung und Mitarbeit sind sehr wertvoll für mich.» Die Englischlehrerin Catherine Dennler sagt: «Gerade in unvorhersehbaren Situationen – und die gibt es im Schulalltag häufig – ist man dankbar für die Unterstützung.»

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