Im Gespräch mit Andreas Naegeli

Andreas ist seit 2013 Direktor der grössten Schweizer Justizvollzugsanstalt. Zu seinem runden Jubiläum sprachen wir mit ihm über Erreichtes und Wünsche für die Zukunft.

Foto von Andreas Naegeli, Direktor der JVA Pöschwies
Andreas Naegeli, Direktor der Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Quelle: JuWe/Franziska Frohofer

Welches Klischee über Gefängnisse im Allgemeinen und «dein Gefängnis» im Speziellen nervt dich am meisten?

Dass Gefängnisse zu schön und fast wie Hotels seien. Allerdings lässt sich dieses Klischee auch schnell mit wenigen Gegenargumenten entkräften. Zu «meinem Gefängnis», der JVA Pöschwies: Dass wir meinten, wir machen alles am besten.

Welcher Vorwurf trifft dich härter - Kuscheljustiz oder Folterknast? Und wie gehst du damit jeweils um?

Beide Vorwürfe sind unberechtigt und haben nichts mit der Realität zu tun. Der Vorwurf der «Folter» trifft mich mehr, auch wenn er noch viel absurder ist als der des «Kuschelvollzugs».

Unsere Mitarbeitenden stehen in erster Linie im Dienst der Wiedereingliederung und leisten hervorragende Arbeit.

Du bist bereits seit insgesamt 25 Jahren «im Gefängnis». Wie hat dies dein Menschenbild verändert?

Ich habe nach wie vor ein sehr positives Menschenbild. Ich musste aber lernen, dass Veränderungen viel Zeit brauchen, manchmal auch verschiedene Ansätze nötig sind, es im einen oder anderen Fall mehrere Anläufe braucht und einiges schlicht nicht erreichbar ist. Ich glaube nach wie vor, dass es sich lohnt, sich für Entwicklungen von Menschen einzusetzen. Alle in diesem System, Mitarbeitende und inhaftierte Personen, sind mir nach wie vor sehr wichtig und ich fühle mich für sie verantwortlich.

Wie hat sich deine Meinung über das Justizsystem und den Umgang mit Straffälligen im Laufe deiner Karriere verändert?

Meine Arbeit mit ihren vielen Facetten hat mich von Anfang an gepackt und interessiert und fasziniert mich immer noch stark. So habe ich mich in den vergangenen Jahren in verschiedene Themen vertieft, mich weitergebildet und mich an Forschungsprojekten beteiligt. Besonders den Gelingensfaktoren für ein positives «Gefängnisklima» wollte ich auf den Grund gehen. Auch wichtig war es mir, mich mit «Vollzugsfairness» aber auch ganz praktischen Fragestellungen im Alltag zu beschäftigen. Dabei wurde mir mehr und mehr bewusst, dass wir zwar das Beste versuchen, es dabei aber fast unvermeidlich ist, dass wir bei verschiedenen Menschen auch Leid verursachen – dabei denke ich besonders an die Angehörigen der Menschen im Freiheitsentzug, aber auch an die Inhaftierten selber. Kommen dann noch die Ansprüche und Erwartungen der Opfer und der Gesellschaft dazu, die trotz den Konsequenzen für die Straffälligen in ihrem Bedürfnis nach Schuldausgleich und Sühne oft nicht zufriedengestellt sind, dann wird unsere Aufgabe schon sehr gross.
Diese Widersprüche und unterschiedlichen Bedürfnisse beschäftigen mich sehr und sind für mich in den letzten 25 Jahren eher grösser und komplexer geworden.

Andreas Neageli
Andreas Naegeli bei einer Präsentation

Was ist dein Rat an jemanden, der erwägt, sich als Betreuungs- und Aufsichtsperson in der Pöschwies zu bewerben und noch keine Gefängniserfahrung hat?

Überlege dir folgende Fragen gut: Warum will ich im Gefängnis arbeiten? Wie stehe ich zu all den Menschen, die ich im Gefängnis anzutreffen glaube? Habe ich eine moralische Wertigkeit gegenüber Straffälligen im Kopf und was bedeutet das für mich? Was habe ich für Vorurteile gegenüber Menschen am Rande der Gesellschaft, Straffälligen, Menschen aus anderen Kulturkreisen? Wie gut kann ich mich selber reflektieren, aber auch abgrenzen? Kann ich mit Widersprüchen umgehen? Bin ich bereit, gewisse Risiken einzugehen, mit menschlichen Abgründen konfrontiert zu werden, eventuell angegriffen zu werden? Würde ich im eigenen Umfeld, am «Stammtisch», den Auftrag und die Realität des Justizvollzugs vertreten und überzeugt mich das Konzept selber?
Dann rate ich zu einem Austausch mit Personen aus diesem Berufsfeld und dass diese dir durch ihre Erzählungen einen Einblick in den Alltag eines Gefängnisses gewähren. Ganz wichtig ist es auch, sich dann abschliessend mit Menschen, die einen gut kennen, über die gewonnenen Eindrücke auszutauschen.

Wenn du dich schlussendlich mit Überzeugung dafür entscheidest, dann kannst du in einem anspruchsvollen Berufsfeld eine sinnstiftende und gesellschaftlich relevante Aufgabe übernehmen, in der du dich beruflich und menschlich weiterentwickeln kannst.

In welchen Punkten steht die JVA Pöschwies noch nicht dort, wo du sie gerne hättest?

Ich möchte verschiedene Projekte weiterbringen. Dabei wünsche ich mir speziell weiter eine konstruktive Auseinandersetzung zur gemeinsamen Haltung gegenüber unserem gesetzlichen Auftrag und den inhaftierten Personen. Dann möchte ich die Zusammenarbeitskultur und die Vernetzung über die Bereiche hinaus weiter verbessern und das Verständnis für das Ganze fördern.

Worin besteht die grösste Herausforderung deiner Arbeit? Hast Du etwas von deinem Optimismus eingebüsst in den vergangenen 10 Jahren?

Die grösste Herausforderung ist der Umgang mit den unterschiedlichsten Anforderungen und der Kritik von allen Seiten. Da muss man vieles immer wieder erklären und gut darauf achten, dass einem die Kritik nicht zu fest zusetzt. Ich glaube, dass ich mir meinen Optimismus trotzdem bewahren konnte.

Womit verbringst du deine Zeit am liebsten, wenn du gerade nicht arbeitest?

Dann bin ich zu Hause, besorge unsere Pferde, gehe Reiten, spaziere mit unserem Hund, arbeite im Garten oder renoviere an unserem Haus und geniesse die Zeit mit der Familie und Freunden.

Das Interview führte Nadine Lumme, Projektleiterin Kommunikation Justizvollzug und Wiedereingliederung.