Zurich meets Basel: Versicherungsbranche nimmt digitale Chancen ins Visier
Wirtschaft & Arbeit 18.11.2022
Etablierte Versicherungsunternehmen stellen vermehrt an der Seite von Insurtechs die Weichen für die Zukunft. Das war Thema einer Veranstaltung der Kantone Basel-Stadt und Zürich im Rahmen der Reihe «Zürich meets Basel». Dabei diskutierten Fachleute, wie stark in der Branche Innovationskraft auf Kooperation basiert.
Zwei Geschäftsführer grosser Schweizer Versicherer waren sich bei der Veranstaltung in einem Punkt einig: Die Branche profitiert von einem breit angelegten Austausch. «Wir denken häufig zu kleinräumig – dieser Anlass ist eine Ausnahme», sagte Michael Müller, CEO Schweiz der Baloise. Sein Podiumspartner Juan Beer, CEO Schweiz der Zurich Insurance, betonte: «Wir sprechen zu wenig miteinander.» Es brauche Gefässe, damit Versicherungen und Insurtechs zusammenkämen und mögliche gemeinsame Themen debattierten. Der Austausch, der Kooperation ermöglicht – das ist das Ziel der Veranstaltungsreihe «Zürich meets Basel». In ihrer sechsten Ausführung lag der Fokus auf der Frage: Wohin geht die Reise der Versicherungsindustrie?
Standorte lernen voneinander
Die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh spannte in ihrer Begrüssung das Themenfeld der gemeinsamen Herausforderungen ab. Explizit erwähnte sie den Kampf um Talente und den technologischen Wandel. Exzellente Forschungszentren, starke Finanz- und ICT-Unternehmen seien in beiden Kantonen vorhanden, dennoch fragte sie: «Was können wir als Standorte verbessern, um Insurtechs die besten Grundvoraussetzungen zu bieten?»
Ein Blick auf das InsurTech Hub in München zeigte, als welch kleine Pflanze die heute international bekannte Initiative begonnen hat. Managing Director, Christian Gern, sagte: «Angefangen haben wir mit zwölf überwiegend Münchner Insurtechs, inzwischen sind mithilfe unserer Plattform rund 160 Kollaborationen entstanden.» Förderung durch den Bund und den Freistaat Bayern spielte bei der Entwicklung eine grosse Rolle. Heute werden in diversen Programmen Insurtechs unterstützt, zusammengebracht mit Investorenschaft, Wissenschaft und etablierten Unternehmen. Auch das in der Schweiz entstandene Start-up Pathmate Technologies profitierte hiervon. Mitgründerin und CCO Michele Heppler erklärte, wie das Hub dem Unternehmen 2020 bei seinen Expansionsplänen geholfen hat.
Unternehmen müssen vorausschauend innovieren
Für Unternehmen ist es überlebenswichtig, gerade dann zu innovieren, wenn das existierende Geschäftsmodell noch Wachstum beschert. Alexander Braun von der Universität St. Gallen erläuterte dies anhand des sogenannten Dilemmas des Innovators. «Der Branche geht es blendend, sie ist gut durch die Krise gekommen», sagte er. Es zeichnen sich aber Entwicklungen ab, die den Markt grundlegend ändern könnten: In der wachsenden Sharing-Ökonomie besitzen etwa weniger Menschen ein eigenes Auto, das versichert werden muss. Auch sind Versicherungsleistungen häufiger direkt mit dem Kauf eines Produkts verbunden.
Als Antwort darauf arbeiteten fast alle Versicherungen an Plattformlösungen. Dadurch sollen Leistungen besser in Gesamtbündel eingefügt werden. Zudem stärken Unternehmen den Präventionsfokus und positionieren sich mit neuen Leistungen als Risikoberater der Kundinnen und Kunden. «In der Schweizer Branche werden die richtigen Weichen gestellt», betont Alexander Braun. Zentral seien dabei Kooperationen, Allianzen und Netzwerke – unter anderem mit Insurtechs. Er sagte: «Die Bedrohung für Etablierte kommt in den wenigsten Fällen von Insurtechs, sondern von grossen Tech-Unternehmen oder aus anderen Branchen.»
Insurtech-Kooperationen sind fruchtbar
Viele Grosse suchen seit einigen Jahren schon den Schulterschluss mit cleveren Insurtechs. Veranschaulicht wurde dies durch Philipp Marty, den Leiter Neue Geschäftsfelder & Partnerschaften von Baloise Schweiz, und Pietro Carnevale, CEO des von der Generali initiierten House of Insurtech Switzerland HITS. Marty ging unter anderem auf das unternehmerische Umfeld ein, das Experimente und auch Scheitern ermöglichen soll. Carnevale beschrieb Kollaborationen als den ultimativen Weg, nachhaltig zu innovieren.
An der anschliessenden Podiumsdiskussion nahm mit Michael Dritsas auch der CEO des Zürcher Insurtechs vlot teil, mit dem die Generali zusammenarbeitet. Vlot hat es laut Dritsas geschafft, am Hochlohnstandort Schweiz bald profitabel zu sein. «Doch wir haben es nicht allein geschafft, sondern dank der Industrie, der Beziehungen und letztlich der Menschen», so Dritsas. Vlot hat eine digitale Lösung entwickelt, um Vorsorgelücken zu schliessen.
Für neue Dienstleistungen nicht nur im Vorsorgebereich sahen die Podiumsteilnehmer zahlreiche Ansätze. Juan Beer von Zurich Schweiz wies unter anderem auf Versicherungslösungen im Bankenbereich in Kooperation mit der UBS hin. Michael Müller von Baloise Schweiz führte auch den Sharing-Bereich an: «Dieser gibt uns auch neue Möglichkeiten.» So versichere man vielleicht nicht den eigenen, doch wolle man den geliehenen Camper versichert wissen.
Die Schweiz hat noch Potenzial
Bei offensichtlichen Chancen und einer starken Branche sei die Anzahl von schweizweit 55 Insurtechs viel zu gering, so die Aussage von Andreas Iten. Er ist Co-Gründer und CEO des Inkubators und Accelerators F10, der sich auf Fintech und Insurtech spezialisiert hat. Im Vergleich hierzu seien in Deutschland rund 140 Start-ups im Versicherungsbereich aktiv. Itens Forderung: «In der Schweiz müssen Grossunternehmen viel mehr in Experimente investieren.» Im Fintech-Bereich gibt es mittlerweile 360 Start-ups – laut Iten ist Fintech in seiner Dynamik Insurtech um drei bis vier Jahre voraus.
Dabei kommt mit wefox das weltweit wertvollste private Insurtech ursprünglich aus der Schweiz. COO von wefox insurance Schweiz Karin Bechtiger skizzierte in Basel den Aufstieg. Heute ist die digitale Versicherungsplattform in Berlin domiziliert und arbeitet mit allen in der Branche zusammen – seien es Versicherungsträger oder Vertriebsunternehmen. Dank einer konsequenten Übernahmestrategie ist wefox in sechs Ländern aktiv. Die nächsten Pläne? Karin Bechtiger: «Noch zwölf Monate Europa, dann Asien und die USA.»
Start-ups prägen den Innovationsstandort
Bei Kooperationen müssen die starken Wirtschaftsräume der kleinen Schweiz vorangehen, so der Tenor von Kaspar Sutter, Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Anregungen für bessere Rahmenbedingungen nahm er mit auf die Agenda. In seinem Schlusswort formulierte er zudem den Appell: «Ich wünsche mir von Kapitalseite mehr Risikolust.» Die Dynamik der Standorte lebe von Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich aus der Komfortzone hinauswagten.
Text: Yvonne von Hunnius / Café Europe
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