Wieso die Stadt Zürich keine Kronzeugin für die pandemiebedingte Stadtflucht ist

Kehren die Menschen den Städten den Rücken und suchen ihr Wohnglück vermehrt auf dem Land? Die Stagnation der Bevölkerungszahlen in der Stadt Zürich und deren Zunahme in den anderen Regionen des Kantons legen diesen Schluss nahe. Die Entwicklung dürfte jedoch nicht allein auf veränderten Vorlieben der Bevölkerung beruhen, sondern auch auf Unterschieden bei der Neubautätigkeit

Weil im Kanton und besonders in der Stadt Zürich die Wohnungsleerstände traditionell tief sind, ist die Neubautätigkeit sicherlich nicht der einzige, aber ein wichtiger Faktor für das Bevölkerungswachstum. Auf den ersten Blick ist die gegenwärtige Lage diesbezüglich wenig spektakulär. Kantonsweit lag die Zahl der Neubauwohnungen in den Jahren 2019 und 2020 ungefähr auf dem Niveau der Vorjahre. Dahinter verbergen sich jedoch unterschiedliche regionale Entwicklungen. In der Stadt Zürich hat die Zahl der Wohnungen in Neubauten in den vergangenen zwei Jahren deutlich abgenommen, während im restlichen Kantonsgebiet – angetrieben von der Bautätigkeit im Limmattal – überdurchschnittlich viele Wohnungen erstellt wurden. Zu diesem Befund kommt man unabhängig davon, aus welcher Quelle die Daten stammen. Aufgrund methodischer Differenzen können die kantonalen Zahlen von denjenigen des Bundesamtes für Statistik und der Statistikstelle der Stadt Zürich abweichen. Die hier diskutierten Trends finden sich jedoch in den Auswertungen aller Stellen.

Rückgang der Neubauwohnungen in der Stadt Zürich

Wie die Grafik unten zeigt, sind in der Stadt Zürich in den letzten beiden Jahren jeweils weniger als 2000 Neubauwohnungen entstanden. Gegenüber dem Zeitraum von 2015 bis 2018 mit durchschnittlich 3000 neuen Wohnungen ist dies ein deutlicher Rückgang. Auch wenn man etwas weiter zurückschaut, ist die jüngste Wohnbautätigkeit in der Stadt Zürich unterdurchschnittlich. Im innerkantonalen Vergleich hat sie nur im Knonaueramt stärker abgenommen. Dort sind allerdings auch die Leerstände deutlich höher als in der Stadt.

Neubauwohnungen pro Jahr 2000–2020

In der Stadt Zürich lag in den Jahren 2019 und 2020 die Zahl der erstellten Neubauwohnungen deutlich unter den Vorjahren. Im restlichen Kantonsgebiet hingegen, gab es eher etwas überdurchschnittlich viele Wohnungen.
Quelle: Kantonales Gebäude- und Wohnungsregister

Trend zu kleineren Wohnungen

Für das Bevölkerungswachstum ist jedoch nicht nur die Zahl der neuen Wohnungen relevant, sondern auch deren Grösse. Je mehr Zimmer eine Wohnung hat, desto mehr Menschen können darin wohnen. In den letzten 20 Jahren ging der Trend bei der Wohnbautätigkeit hin zu Wohnungen mit weniger Zimmern. In der Stadt Zürich ist er zwar schwächer ausgeprägt als im restlichen Kantonsgebiet, aber ebenfalls klar vorhanden. Noch in den Nullerjahren hatte regelmässig mehr als die Hälfte der neu erstellen Wohnungen mindestens vier Zimmer. In den vergangenen fünf Jahren war dies hingegen nur noch bei etwas weniger als 30 Prozent der Wohnungen der Fall. Weil die Personenbelegung von Neubauwohnungen in der Stadt im gleichen Zeitraum ebenfalls zugenommen hat, bleibt der Zusammenhang von Wohnungsgrösse und Bevölkerungsentwicklung zwar nicht konstant über die Zeit, grundsätzlich gilt aber, dass im Schnitt eine neue Wohnung weniger Wohnraum schafft also noch vor 20 Jahren.

Neubauwohnungen pro Jahr nach Anzahl Zimmer 2000–2020

In der Stadt Zürich und auch im restlichen Kantonsgebiet haben Wohnungen mit drei oder weniger Zimmern einen immer grösseren Anteil an den Neubauwohnungen.
Quelle: Kantonales Gebäude- und Wohnungsregister

Der Trend zu kleinen Wohnungen führt dazu, dass sich die Entwicklung der Wohnbautätigkeit je nach Messgrösse unterschiedlich präsentiert. In der untenstehenden Grafik erfasst die gepunktete blaue Linie die Bautätigkeit anhand der Summe aller Wohnungen in Neubauten, die violette Linie anhand der Summe aller Zimmer in den Neubauwohnungen. Beide Linien sind auf das Jahr 2000 indexiert.

Indexierte Entwicklung der Neubautätigkeit 2000–2020

1 = Stand 2000

Betrachtet man den Kanton ohne die Stadt Zürich, stieg die Neubautätigkeit gemessen an der Anzahl Zimmer zwischen 2004 und 2011 an und nahm dann infolge des Trends zu kleineren Wohnungen deutlich ab. Gemessen an der Anzahl neu gebauter Wohnun-gen ist nur eine leichte Abnahme feststellbar.  In der Stadt Zürich divergiert die Neubautätigkeit gemessen an der Anzahl Wohnungen und Zimmer erst ab 2011. Beide Masse zeigen aber ein ähnliches Bild: In den Jahren 2015 bis 2018 fand in der Stadt ein regelrechter Bauboom statt, dem ein ebenso massi-ver Einbruch folgte. Unter Berücksichtigung der Zimmerzahl ist der Rückgang sogar noch eindrücklicher: Demnach wurden im Jahr 2020 wieder fast so wenige Neubau-wohnungen erstellt wie zu Beginn des Jahrtausends.
Quelle: Kantonales Gebäude- und Wohnungsregister

Betrachtet man den Kanton ohne die Stadt Zürich, stieg die Neubautätigkeit gemessen an der Anzahl Zimmer zwischen 2004 und 2011 an und nahm dann infolge des Trends zu kleineren Wohnungen deutlich ab. Gemessen an der Anzahl neu gebauter Wohnungen ist nur eine leichte Abnahme feststellbar.

In der Stadt Zürich divergiert die Neubautätigkeit gemessen an der Anzahl Wohnungen und Zimmer erst ab 2011. Beide Masse zeigen aber ein ähnliches Bild: In den Jahren 2015 bis 2018 fand in der Stadt ein regelrechter Bauboom statt, dem ein ebenso massiver Einbruch folgte. Unter Berücksichtigung der Zimmerzahl ist der Rückgang sogar noch eindrücklicher: Demnach wurden im Jahr 2020 wieder fast so wenige Neubauzimmer erstellt wie zu Beginn des Jahrtausends.

Welche Rolle spielen die Wohnungsabbrüche?

Natürlich haben nicht nur Neubauten, sondern auch bauliche Massnahmen an bestehenden Gebäuden einen Einfluss auf das Bevölkerungswachstum. Dazu gehören Abbrüche, Aufstockungen, Umnutzungen und Umbauten. Das Ausmass dieser Arbeiten zu quantifizieren ist schwierig, weil sie nicht direkt aus dem Gebäude- und Wohnungsregister abgeleitet werden können. In der Regel hat die Neubautätigkeit aber in der Stadt Zürich den grössten Anteil an der gesamten Bautätigkeit. Der zweitwichtigsten Treiber der Bautätigkeit sind die Abbrüche. Der Effekt auf die Bevölkerungsentwicklung ist hier allerdings weniger unmittelbar und kleiner als bei der Neubautätigkeit, da die Belegung von Abbruchwohnungen bereits in den Jahren vor dem Abbruch deutlich zurückgeht (Grafik unten). Das heisst: Der Wohnraum in den Abbruchwohnungen wird dem Wohnungsmarkt bereits früher entzogen (oder er wird provisorisch von Personen genutzt, die vom Bevölkerungsregister nicht erfasst werden). Um die gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung zu verstehen, sind daher die geplanten Abbrüche in der nahen Zukunft relevant. Für das laufende Jahr kann gemäss Zahlen von Statistik Stadt Zürich von der höchsten Abbruchquote seit 2009 ausgegangen werden, was seine Schatten vorausgeworfen und die Bevölkerungsentwicklung im letzten Jahr gedämpft hat.

Durchschnittliche Personenbelegung in den Jahren vor Wohnungsabbruch

Mittlerer Wert 2018 bis 2020, die Zimmerzahl ist in den Kreisen angegeben

In Abbruchwohnungen wohnt breits ein Jahr vom dem Abbruch im Schnitt weniger als eine Person.
Lesehilfe: 4 Jahre bevor in der Stadt Zürich eine 6-Zimmerwohnung abgebrochen wird, leben im Schnitt 2.7 Personen darin, ein Jahr vor dem Abbruch noch 1.4. Quelle: Kantonales Gebäude- und Wohnungsregister, kantonale Einwohnerplattform.  

Fazit

Ist die stagnierende Bevölkerungsentwicklung in der Stadt Zürich also wie eingangs unterstellt Ausdruck einer deutlich gesunkenen Attraktivität der Stadt gegenüber den anderen Regionen im Kanton? Aufgrund der tiefen Neubautätigkeit 2020 und den in diesem Jahr zahlreichen Wohnungsabbrüchen in der Stadt fällt es schwer, diese Frage ohne Vorbehalt zu bejahen. Es bleibt offen, ob die Menschen nicht mehr in der Stadt leben wollen oder ob sie einfach keine passende Wohnung finden. Die tiefen Wohnungsleerstände legen allerdings eher den Schluss nahe, dass der Mangel an (grösseren) Wohnungen die Stagnation der Bevölkerungsentwicklung in der Stadt Zürich zumindest miterklärt.

Ansprechpersonen

Basil Schläpfer

Wiss. Mitarbeiter Statistisches Amt

basil.schlaepfer@statistik.ji.zh.ch
+41 43 259 75 39

Katharina Kälin

Wiss. Mitarbeiterin Statistisches Amt

katharina.kaelin@statistik.ji.zh.ch
+41 43 259 75 66

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