Ein Grossprojekt in der heissen Phase

Mit dem Projekt Kompetenzzentren, das die Berufszuteilungen neu regelt, kommen auf die Berufsfachschulen teilweise grosse Veränderungen zu. Was passiert da genau und wie bereiten sich die Schulen zurzeit vor?

Mit Beginn des neuen Schuljahrs ist das Zentrum für Ausbildung im Gesundheitswesen (ZAG) in Winterthur um einen Beruf reicher: 147 Dentalassistentinnen und -assistenten haben hier ihr erstes Lehrjahr in Angriff genommen. Es ist der erste Schritt der Verschiebung dieses Berufs von der Berufsfachschule Winterthur (BFS) ans ZAG. In den kommenden zwei Jahren werden am ZAG weitere Lernende starten, während im Sommer 2023 der letzte Jahrgang an der BFS abschliessen wird.

Dentalassistent ist ein Medizinalberuf und passt somit besser ins Portfolio des ZAG. Dass er bislang an der Berufsfachschule Winterthur unterrichtet wurde, ist historisch gewachsen. Wie so manches in der Berufsbildung. Doch die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen die Berufswelt und die Berufsbildungslandschaft. Gewisse Konstellationen sind heute für Schulen und Wirtschaft nicht mehr ideal. Im Rahmen des Projekts Kompetenzzentren wurde deshalb unter Leitung des Mittelschul- und Berufsbildungsamts in den vergangenen zwei Jahren ein Konzept für eine neue Berufszuteilung erarbeitet (siehe Kasten Seite 14). Im Frühjahr 2020 ist die Umsetzungsphase angelaufen.

Berufe stärker konzentrieren

Der Wechsel der Dentalassistentinnen ans ZAG bildet den Auftakt zu einer ganzen Kaskade von Rochaden, die mehrheitlich mit dem Schuljahr 2021/22 starten werden (siehe Grafik Seiten 16/17). Dass gerade diese Berufsgruppe den Anfang machte, hat seinen Grund: Ihr Schulgebäude liegt in unmittelbarer Nähe des ZAG. Lernende und Lehrpersonen mussten nicht umziehen, sie erhielten lediglich eine neue Schulleitung. Letztlich ging es darum, sämtliche Daten von Lernenden und Lehrpersonen verwaltungstechnisch vom einen ins andere Schulsystem zu überführen. Und dies sollte auf Wunsch der betroffenen Schulen möglichst rasch über die Bühne gehen.

Detailhandelslernende an der Berufsschule Rüti
An der Berufsschule Rüti üben Detailhandelslernende das Verkaufsgespräch. Die Aufnahme stammt vom Januar 2020. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Damit handelt es sich bei diesem Teilprojekt um einen Spezialfall. Alle anderen Verschiebungen gehen immer auch mit örtlichen Wechseln einher. Etwa an der Berufsschule Rüti. Sie ist involviert in die drei Teilprojekte «Konzentration Detailhandel », in dem es um die Reduktion von vier auf drei Standorte geht, «Konzentration MEM-Berufe», in dem von vier auf zwei Standorte reduziert wird, und «Konzentration der Coiffeur-Berufe», die künftig statt an drei nur noch an einer Schule unterrichtet werden. Konkret bedeutet dies für die BS Rüti, dass sie ihre lernenden Coiffeusen und Coiffeure an die Berufsschule Mode und Gestaltung Zürich abgibt. Ein Teil ihrer Detailhandelsfachleute wechselt an die Berufsschule für Detailhandel Zürich oder an die Berufsfachschule Winterthur. Gleichzeitig werden neu rund 150 Lernende in vier Berufen der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie die Berufsschule in Rüti besuchen statt wie bis anhin in Bülach oder Dietikon: Produktionsmechaniker, Polymechaniker, Konstrukteure und Mechanikpraktiker. Wobei in Rüti lediglich Letztere neu hinzukommen, die drei anderen Berufe werden hier heute schon unterrichtet.

Selbst wenn auf dem Papier alles akribisch geplant wurde, sind die Schulen nun bei der Umsetzung gefordert. Nicht nur organisatorisch gibt es viel zu tun, es geht ebenso um Fragen des Zusammenwachsens in neuen Teams oder der Entwicklung einer neuen Schulkultur infolge der Integration neuer Berufe. Trotzdem ist Rektor Kurt Eisenbart optimistisch. «Veränderungen sind für uns nichts Neues», meint er, «Berufe wachsen oder schrumpfen, es entstehen neue Berufe oder Branchen, andere verschwinden. Und immer sind davon auch einzelne Berufsfachschulen betroffen.» Neu sei hingegen der Umfang der Veränderungen, die das Projekt Kompetenzzentren auslösten.

Noch ist an der Berufsschule Rüti alles beim Alten. Nach den Sommerferien wurden noch einmal neue Coiffeusen und Coiffeure eingeschult – zum letzten Mal. Sogar einige mehr als im vergangenen Schuljahr, wie Kurt Eisenbart feststellt. Nächstes Jahr werden dann anstelle neuer Coiffeurklassen zusätzliche 1. Klassen in den MEM-Berufen gebildet. Die Verschiebungen zwischen den Schulen erfolgen grundsätzlich nach drei Modellen. Erstens: Ein- respektive auslaufend, das heisst, während an der aufnehmenden Schule in den kommenden Jahren die neuen Lernenden eingeschult werden, entstehen an der abgebenden Schule jeweils keine 1. Klassen mehr. So läuft es bei den Coiffeuren. Zweitens: Die Verschiebung aller Lernenden wird auf ein bestimmtes Schuljahr hin vorgenommen. Und drittens eine Kombination von beiden. So werden im Schuljahr 2021/22 mehr Polymechaniker und Konstrukteure ihr erstes Ausbildungsjahr an der BS Rüti oder an der Berufsbildungsschule Winterthur (BBW) beginnen, ein Jahr später werden an diesen beiden Schulen nicht nur erneut mehr 1. Klassen gebildet, sondern sämtliche Lernenden im 3. Lehrjahr, die bis dorthin die Berufsschule Bülach oder das Bildungszentrum Limmattal besucht haben, nach Rüti oder Winterthur wechseln.

Schuhverkaufen will gelernt sein
Auch Schuhe zu verkaufen muss geübt werden. Quelle: Foto von Hannes Heinzer

Neuzuteilung der Schulgebiete

Damit ist es allerdings nicht getan, es müssen auch Einzugsgebiete neu definiert werden: Welcher Lernende geht zukünftig wo in die Berufsfachschule? Dies hängt von seinem Lehrbetrieb ab, darum muss man dies, sofern es nicht nur noch eine für den Beruf zuständige Schule gibt, neu aushandeln. Bietet ein Betrieb mehrere Lehrberufe der gleichen Branche an, sollen ihre Lernenden auch alle die gleiche Schule besuchen, wie Kurt Eisenbart erklärt. «In der MEM-Industrie etwa ist es oft der Fall, dass ein Unternehmen junge Leute in allen Berufen ausbildet. Für diese Betriebe ist es wichtig, lediglich eine Schule als Ansprechpartnerin zu haben.» Momentan werden in den verschiedenen Teilprojekten, sofern nötig, die neuen Schulzuteilungen diskutiert. Die Vorschläge werden mit den Organisationen der Arbeitswelt und den Berufsinspektoren des Mittelschul- und Berufsbildungsamts, welche die Betriebe am besten kennen, überprüft. Und da in der Regel im Herbst die ersten Lehrverträge für das kommende Schuljahr unterzeichnet werden und dort die jeweilige Berufsschule vermerkt sein muss, sollen die Schulzuteilungen bis dorthin für möglichst viele Berufe abgeschlossen sein. «Als Schule wiederum haben wir die Aufgabe, die Kooperation der Lernorte zu fördern», sagt der Rektor der BS Rüti, «wir werden deshalb die Betriebe, die neu ihre Lernenden zu uns schicken, willkommen heissen.» Denn er weiss: «Für die Firmen ist es oft nicht so wichtig, welche Schule ihre Lernenden besuchen, wichtig ist für sie hingegen eine gute Kommunikation mit ihr.»

Keine spürbaren Ängste

Das Hauptaugenmerk von Kurt Eisenbart, der in seiner Funktion als Präsident der Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der Berufsfachschulen im Kanton Zürich (KRB) in der Reflexionsgruppe und im Teilprojekt Personal von Anfang an im Projekt Kompetenzzentren mitgearbeitet hat, liegt momentan aber klar auf seinem Team. Für jede Lehrperson, die von den Verschiebungen betroffen ist, eine möglichst passgenaue Lösung zu finden, liegt ihm am Herzen. Für die beiden Fachlehrpersonen der Coiffeure ist eine solche bereits auf gutem Weg. Im Bereich der Detailhandelsberufe werden ausserdem mehrere Fachlehrpersonen demnächst pensioniert, womit man allfällige Schwankungen bei den Pensen wohl weitgehend abfedern können wird, wie Kurt Eisenbart meint. Schwieriger könnte es für Lehrpersonen des Allgemeinbildenden Unterrichts oder im Sport werden: Angesichts von Berufsgruppen, die vorübergehend weniger Lernende verzeichnen, könnten für sie Lücken entstehen. Dort will er besonders genau hinschauen.

Grundsätzlich spüre er im Team aber keine Ängste, versichert der Rektor. «Bei uns ist das Risiko für die Lehrpersonen klein, viele oder gar alle Lektionen zu verlieren. » Ausserdem setzt die Schulleitung auf regelmässige und transparente Information. «Wir arbeiten eng mit dem Konvent zusammen.» Dass sich die Hauptlehrer zwischen den Schulen kennten, werde überdies den Wechsel in ein anderes Team vereinfachen. «Ohnehin gibt es zurzeit andere Themen, die die Lehrerinnen und Lehrer mehr beschäftigen», meint der Rektor abschliessend, «etwa die aktuellen Lehrplanreformen.» Trotzdem hat er sich zum Ziel gesetzt, die Situation der von den Verschiebungen betroffenen Lehrpersonen bis Ende dieses Semesters zu klären. Damit die Stolpersteine aus dem Weg geräumt sind, wenn es nächstes Jahr so richtig losgeht.

Das Projekt und seine Umsetzung

Im Mai 2018 wurde vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) das Projekt Kompetenzzentren gestartet mit dem Ziel, die Zuteilung der Berufe an die Berufsfachschulen zu optimieren. Unter Projektleiter Andres Meerstetter wurde in enger Zusammenarbeit mit den Schulen, den betroffenen Organisationen der Arbeitswelt sowie Vertretern der Lehrpersonen- und Personalverbände ein Konzept entwickelt, das eine Konzentration diverser Berufe auf weniger Standorte vorsieht. So sollen die Schulen fachlich und wirtschaftlich gestärkt werden, indem sie beispielsweise grössere Fachschaften für mehr Klassen bilden oder mehr Ressourcen in wichtige Entwicklungen wie etwa die Digitalisierung stecken können. Von insgesamt 29 kantonalen und privaten Berufsfachschulen sind 17 von den geplanten Verschiebungen betroffen, darunter die meisten kantonalen. Anfang Februar 2020 hat der Bildungsrat das Konzept genehmigt. Seither ist die Umsetzungsphase im Gang. Gearbeitet wird in zahlreichen Teilprojekten, von denen die meisten die Neuzuteilungen zwischen den Schulen betreffen. Bei diesen Teilprojekten liegt die Hauptverantwortung in der Regel bei der aufnehmenden Schule, die die neu hinzukommenden Lernenden und Lehrpersonen integrieren muss. Der Grossteil der Verschiebungen startet mit dem Schuljahr 2021/22, bis zum Sommer 2024 soll das Projekt Kompetenzzentren abgeschlossen sein. Weitere Teilprojekte widmen sich den Themen Schulgebiete, Personal, Finanzen, Daten und Berufsmaturität. Bei diesen geht es etwa um die Neueinteilung der Einzugsgebiete für Berufe, die von den Rochaden betroffen sind, um Übergangsbudgets für die Schulen, um die Migration elektronischer Daten von einer Schule zur anderen oder um die Klärung von Umsetzungsfragen in Bezug auf die Berufsmaturitätsschulen. Im Teilprojekt Personal werden neue Stellenpläne erstellt, spezielle personelle Fälle abgeklärt oder Unterstützungs- und Entlastungsmassnahmen koordiniert. Ebenso wurde eine zentrale Anlaufstelle für Lehrpersonen und Schulleitungen eingerichtet.

Text: Jacqueline Olivier, Fotos: Hannes Heinzer

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