Ein Drittel aller gewählten Politikerinnen und Politiker erlebt Hate Speech

Die Direktion der Justiz und des Innern hat unter gewählten Politikerinnen und Politikern im Kanton Zürich eine Befragung zu Hasszuschriften durchgeführt. Die Antworten der Befragten zeigen, dass Handlungsbedarf besteht.

Im Kanton Zürich – wie auch in anderen Regionen der Schweiz – sehen sich viele Politikerinnen und Politiker mit Hassrede konfrontiert. Sei es im persönlichen Kontakt, auf Social Media oder via Mail. Diese Entwicklung ist eine Gefahr für die lebendige Demokratie: Mehrere Zürcher Politikerinnen haben ihr Engagement aufgegeben, weil sie sich der Belastung durch solche Hasszuschriften nicht länger aussetzen wollten.

Zur Häufigkeit von Hate Speech-Erfahrungen unter Zürcher Politikern und Politikerinnen liegen bislang keine empirischen Daten vor – genauso wenig zu den Auswirkungen solcher Erfahrungen. Um diese Lücke zu schliessen, initiierte Jacqueline Fehr, die Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern (JI), erstmals eine Befragung über Hate Speech Erfahrungen bei gewählten Politikerinnen und Politikern im Kanton Zürich. «Hass darf unsere Demokratie nicht ausbremsen. Damit wir etwas dagegen tun können, müssen wir das Phänomen und die Bedürfnisse der Betroffenen besser kennen», erklärt sie.

Im September 2023 hat die Direktion JI darum das Projekt «Stop hate!» gestartet. Es besteht aus zwei Teilen: Einerseits ermöglichte es Zürcher Politikerinnen und Politikern in einer Versuchsphase bis Ende 2023, Hasszuschriften durch Anwältinnen und Anwälte für sie kostenlos juristisch beurteilen zu lassen. Dazu kam im Dezember eine Befragung. Sie richtete sich an rund 1680 Personen im Kanton Zürich, welche politische Ämter bekleiden. 660 Personen antworteten. Dabei zeigte sich:

  • Rund jede und jeder dritte Teilnehmende war im Amt schon mit Hate Speech konfrontiert (196).
  • Jeder und jede Fünfte berichtete, dass sie oder er in den letzten 12 Monaten Hassrede erlebt habe (136).

Bei jenen, die in den letzten 12 Monaten Hate Speech erfahren haben, antwortete jede dritte Person, dass ihr manchmal oder oft der Gedanke gekommen sei, die politische Funktion aufzugeben. Die Umfrage zeigt aber auch Erfreuliches: Die grosse Mehrheit der Antwortenden lässt sich durch unangenehme Mails nicht den Spass und die Freude an der Politik verderben.

Nicht immer blieb es bei Beleidigungen

Die Analyse der Antworten führt zu folgenden Erkenntnissen: Wenn politisch tätige Personen Hassrede erfahren, so meist in Form einer Herabwürdigung oder einer Beleidigung. Eine von vier der betroffenen Personen berichtete sogar, eine Androhung von Gewalt, inklusive Drohung gegenüber Nahestehenden, erlebt zu haben. Die Anfeindungen bezogen sich sehr häufig auf die politische Position oder Partei. Hate Speech nimmt daneben häufig Bezug auf die Bildung, das Einkommen, den Beruf, das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität der Betroffenen. Auch die Zugehörigkeit zu einer linken oder rechten Polpartei erwies sich als Risikofaktor für das Erleben von Hate Speech: Mittig ausgerichtete oder parteilose Befragte erlebten vergleichsweise weniger Angriffe. Über alle Teilnehmenden hinweg erfolgten die Anfeindungen am häufigsten per Mail (63 Personen erhielten 494 Anfeindungen auf diesem Weg) oder auch persönlich (60/221). Werden alle Vorkommnisse aufaddiert, ist jedoch X (vormals Twitter) der am meisten für Anfeindungen genutzte Kanal (33/1468).

Betroffene wollen sich nicht mit den Anfeindungen beschäftigen

Eine von drei Personen gab bei der Befragung an, nicht auf ein besonders schwerwiegendes Ereignis von Hate Speech reagiert zu haben. Anfeindungen einfach zu ignorieren, scheint für viele Betroffene keine geeignete Umgangsform zu sein: Jeder und jede zweite besprach diese Vorfälle mit dem eigenen Umfeld. Allerdings haben sich lediglich 21 Personen als Reaktion an eine Meldestelle gewendet. Eines der meistbefürworteten Anliegen im Umgang mit Hate Speech war es, sich möglichst wenig mit den Anfeindungen beschäftigen zu müssen. Ebenfalls hohe Zustimmungswerte hatten die Anliegen, dass auf Hate Speech eine polizeiliche oder gar strafrechtliche Intervention erfolgt oder dass sich die Behörden zumindest bei den Urheberinnen und Urhebern melden.

Die kostenlose Rechtsberatung der Direktion JI unter dem Titel «Stop hate!» hatte als Pilotprojekt nur temporären Charakter. Insgesamt fünf Politikerinnen und Politiker haben sie innerhalb von drei Monaten in Anspruch genommen. Die Rechtsberatungen dauern zum Teil noch an, die entsprechende Auswertung läuft.

Gewaltschutz und Rechtsberatung sind gefragt

Was die Nützlichkeit bestehender oder möglicher Massnahmen gegen Hass im Netz betrifft, erhielt das aktuelle Angebot Gewaltschutz der Kantonspolizei die höchste Zustimmung. Die Antwortenden, die selbst bereits Hate Speech erlebt hatten, bewerteten dieses Angebot allerdings als deutlich weniger hilfreich. Am zweitmeisten Zuspruch bekam die Idee einer kostenlosen Rechtsberatung. Auf dem dritten Platz folgte der Vorschlag einer kantonalen Meldeplattform.

«Es gehört zur DNA unseres Landes, dass sich Menschen neben dem Beruf im Milizsystem auch in der Politik engagieren», hält Jacqueline Fehr zum Thema Hassrede fest. «Wir brauchen diese Nähe zwischen Politik und Bevölkerung. Und wir dürfen darum nicht zulassen, dass Hassrede Leute davon abhält, zum Beispiel im Gemeinderat mitzuwirken.» Alle Menschen sollten politisch aktiv sein können, egal ob sie rechts oder links politisieren, egal welche Hautfarbe oder Geschlechtsidentität sie haben.

«Die Befragung hat gezeigt, dass Bedarf nach Massnahmen im Kampf gegen Hate Speech besteht», sagt Jacqueline Fehr. Man werde nun nächste Schritte prüfen und allenfalls die nötigen gesetzlichen und technischen Voraussetzungen für zusätzliche Massnahmen vorschlagen.
 

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