Unser Jahresbericht bietet einen Rückblick auf das Jahr 2023. Erfahren Sie mehr über unsere Arbeit, zum Thema Untersuchungshaft und den Pikettdienst (STA-Pikett West) für polizeilich zugeführte Personen. Weitere Inhalte finden Sie im Menü unter 'Gesamtausgabe Download’.
2023 auf einen Blick
Wie bereits im Vorjahr zeigt die Zahl der 2023 bei der Staatsanwaltschaft neu eingegangenen Fälle nur in eine Richtung: steil nach oben. 32’270 Geschäfte gingen im Berichtsjahr bei unserer Organisation ein, was im Vergleich zu 2022 einer Zunahme von 6 Prozent entspricht. Innerhalb von nur zwei Jahren ist das Fallaufkommen somit um über 15 Prozent gestiegen und liegt weit über dem kantonalen Bevölkerungswachstum und auch deutlich über dem Niveau vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Dank zusätzlichen, von der kantonalen Politik bewilligten personellen Ressourcen und grossartigem Engagement unserer Mitarbeitenden gelang es trotz der Flut an neuen Fällen, mehr Verfahren abzuschliessen als im Jahr zuvor. Allerdings mit einer unschönen Nebenwirkung: Die Zahl der zum Jahresende noch pendenten Verfahren ist erneut angestiegen.
Die Gründe für die unverminderte Fallzunahme sind vielschichtig. Je mehr Menschen sich in unserem Kanton aufhalten und je enger sie zusammenleben, desto eher kommt es tendenziell zu Auseinandersetzungen. Gleichzeitig schafft die Digitalisierung ideale Bedingungen für Kriminelle, welche die Anonymisierung im Internet immer professioneller nutzen und ihre illegalen Machenschaften teilweise regelrecht industrialisiert haben. Das nationale Parlament in Bern erlässt immer mehr Strafartikel und erhöht laufend die formellen Anforderungen an Strafverfahren. Jüngstes Beispiel: Die revidierte Strafprozessordnung verpflichtet die Staatsanwaltschaften seit Anfang Jahr, öfter Befragungen durchzuführen. Die Verfahrensdauer steigt – und mit ihr die Pendenzenlast.
Parallel zur Bearbeitung der Strafverfahren richteten wir unseren Fokus im Berichtsjahr auch in die Zukunft. In wenigen Jahren wird in der Strafjustiz der elektronische Rechtsverkehr flächendeckend eingeführt. Für die erfolgreiche digitale Transformation sind vielfältige und komplexe Vorbereitungen auf verschiedenen Ebenen nötig. Mehr zu diesem und weiteren spannenden Themen lesen Sie im vorliegenden Jahresbericht.
Schwerpunkt Untersuchungshaft
Das strengste strafprozessuale Mittel mit Augenmass anwenden
Wird eine Straftat begangen, so stehen den Strafverfolgungsbehörden verschiedene Zwangsmassnahmen zur Verfügung. Die Untersuchungshaft ist dabei das einschneidendste Mittel. Man will verhindern, dass die unter dringendem Tatverdacht stehenden Beschuldigten flüchten, Absprachen treffen, Zeuginnen und Zeugen manipulieren oder Opfer kontaktieren. Die Untersuchungshaft ist für die Beschuldigten ein einschneidender strafprozessualer Grundrechtseingriff. Entsprechend bedarf dieses Instrument enger gesetzlicher Leitplanken und einer umsichtigen Anwendung durch Staatsanwältinnen und Richter.
Fragen und Antworten zur Untersuchungshaft
Im Folgenden finden Sie eine Auswahl der am häufigsten gestellten Fragen und Antworten zum Thema Untersuchungshaft. Weitere Fragen und Antworten finden Sie in der Gesamtausgabe des Jahresberichts.
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Nach einer polizeilichen Verhaftung prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein dringender Tatverdacht und Haftgründe vorliegen. In einer Einvernahme hat die beschuldigte Person die Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Anschliessend entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie beim Zwangsmassnahmengericht Antrag auf Untersuchungshaft oder auf Ersatzmassnahmen stellt oder ob sie die Person auf freien Fuss setzt. Während der Untersuchungshaft überprüft die Staatsanwaltschaft laufend die weitere Notwendigkeit der Haft und verfügt – bei Wegfall der Haftgründe– umgehend die Entlassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft.
Ab dem Zeitpunkt der Festnahme durch die Polizei muss die Staatsanwaltschaft innert maximal 48 Stunden entscheiden, ob sie beim Zwangsmassnahmengericht Antrag auf Untersuchungshaft stellt. Dieses entscheidet spätestens ebenfalls innert 48 Stunden nach Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwaltschaft beurteilt nach sachlichen Kriterien und konkreten Anhaltspunkten, welche Widerstände gegen die Aufklärung eines dringenden Tatverdacht ohne Untersuchungshaft zu erwarten sind und ob diese Widerstände die Anforderungen an die gesetzlichen Haftgründe erfüllen. Entscheidend ist, wie sich die Beweislage so kurz nach der Festnahme präsentiert, beispielsweise worauf der Tatverdacht gründet und ob es allenfalls Spuren oder Zeugen gibt.
Zusätzlich zum dringenden Tatverdacht braucht es eine Flucht,- Kollusions-, Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr.
Jede beschuldigte Person kann nach der Verhaftung sofort einen Anwalt beiziehen und spätestens nach zehn Tagen in Haft erhält sie zwingend einen Verteidiger. Zudem können Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts vom Beschuldigten an das Obergericht weitergezogen werden. Einer beschuldigten Person steht zudem das Recht zu, jederzeit ein Haftentlassungsgesuch zu stellen. Lehnt die Staatsanwaltschaft dieses ab, muss sie die Sache umgehend dem Zwangsmassnahmengericht zum Entscheid vorlegen.
So kurz wie möglich, so lange wie strafprozessual nötig. Das Zwangsmassnahmengericht setzt die Haft fest (maximal 3 Monate). Ist diese Dauer verstrichen und soll die Haft verlängert werden, hat die Staatsanwaltschaftnoch einmal einen Antrag an das Zwangsmassnahmengericht zu stellen (Haftverlängerungsgesuch). Das Zwangsmassnahmengericht kann die Untersuchungshaft mehrmals für jeweils maximal 3 (in Ausnahmefällen 6 Monate) verlängern. Ist die Dauer der voraussichtlichen Freiheitsstrafe für das zu untersuchende Delikt bereits erreicht, kann die Untersuchungshaft nicht mehr verlängert werden.
Der weitaus häufigste Grund ist die Haftentlassung durch die Staatsanwaltschaft. Etwa wenn die Strafverfolgungsbehörden die Beweise soweit gesichert haben, dass keine Kollusionsgefahr mehr besteht. Weitere mögliche Gründe für das Ende der Haft sind beispielsweise vom Gericht gutgeheissene Haftentlassungsgesuche des Beschuldigten, drohende Überhaft oder nach Anklageerhebung die gerichtliche Anordnung eines Wechsels von der Untersuchungs- in die Sicherheitshaft.
Weitere statistische Angaben zum Thema U-Haft
Hochbetrieb im STA-Pikett West: Ein Einblick
Wird im Kanton Zürich eine Person von der Polizei festgenommen, so betreten auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die strafprozessuale Bühne. Sie übernehmen die Verfahrensleitung, prüfen einen Tatverdacht, führen Einvernahmen durch und entscheiden, ob sie Untersuchungshaft beantragen. Betreffen die Fälle den einwohnerstarken südwestlichen Teil des Kantons, kümmert sich das «STA-Pikett West» darum.
Es ist ein nüchterner Büroraum im ersten Stock des Polizei- und Justizzentrums. Kein Wandschmuck, keine bunten Farben, Pflanzen hat es nur draussen, vor den grossen Fensterfronten, im üppig spriessenden Innenhof. Ein funktionaler Raum, aber kein unfreundlich-einschüchternder – womit er so gar nicht zum Klischee passt: Hier, in diesem Zimmer, führt das STA-Pikett West Befragungen durch.
Bestätigt sich ein Tatverdacht und bestehen Haftgründe, beantragt die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht spätestens 48 Stunden nach der polizeilichen Festnahme die Anordnung von Untersuchungshaft. Betreffen die Fälle die Bezirke Zürich, Dietikon, Affoltern oder Horgen, kümmert sich das STA-Pikett West darum.
Dass das Büro im ersten PJZ-Stock kaum etwas gemeinsam hat mit der demonstrativen Schroffheit eines Fernsehkrimi-Verhörzimmers: Das mag einerseits am Mobiliar und an der Ausstattung liegen. Ein Büro, wie es Hunderte gibt: hell, sauber, normal. Es hat andererseits aber gewiss auch mit Dominik Fantoni zu tun, der auf der einen Seite des Pults sitzt. Fantoni – gross gewachsen – ist ein freundlicher Mann Er ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis. Heute hat er Dienst beim STA-Pikett West.
Es ist Anfang Nachmittag. Dominik Fantoni und seine Mitarbeitenden haben sich auf der langen Liste mit den pendenten Fällen schon ein erhebliches Stück vorwärtsgearbeitet. Bis am Abend wird das Team der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis insgesamt 21 Fälle bearbeitet haben. 16 Strafbefehle, zwei U-Haft-Anträge ans Zwangsmassnahmengericht sowie diverse Einvernahmen. Vorerst bleibt aber noch viel zu tun. Einige Fälle sind mit gelbem Leuchtstift markiert. Es sind jene, bei denen die 48 Stunden bald ablaufen. Neben den beiden Bildschirmen auf Fantonis Pult liegt ein Sandwich. Es ist immer noch eingepackt. Und es bleibt vorerst eingepackt. Keine Zeit für Pause. Die nächste Befragung steht an.
Einvernahme mit Dolmetscher
Ein Mann wird in den Raum geführt. Er trägt den grauen Trainingsanzug, den alle vorläufig Festgenommenen tragen. Ein Kantonspolizist, ein Dolmetscher und ein Rechtsanwalt flankieren den Mann. Der Polizist nimmt auf einem Stuhl neben der Türe Platz. Die drei anderen setzen sich gegenüber von Staatsanwalt Fantoni an den Tisch. Der Beschuldigte soll im Flughafengebäude vier Personen bestohlen haben, mit drei Rucksäcken und einer Handtasche als Beute. Ausserdem steht er im Verdacht, aus einem Ladengeschäft eine Hose und eine Jacke entwendet zu haben. Dominik Fantoni beginnt mit dem Fragen. Der Dolmetscher übersetzt, der Beschuldigte antwortet. Der Tonfall ist freundlich, der Umgang respektvoll. Der Beschuldigte sagt zu allen Vorwürfen: «Ja, habe ich getan.» Nur als Dominik Fantoni eine CD in die Höhe hält, um zu unterstreichen, dass Videokameras den gesamten Diebeszug dokumentiert haben, schleicht sich ein Moment der Ungeduld in die Stimme des Beschuldigten: «Ich gebe ja alles zu, auch ohne die Videos.»
Später wird Dominik Fantoni sagen, ganz besonders gefalle ihm an seinem Beruf die Vielfalt. Sie reicht von den aufsehenerregenden Fällen, bei denen auch die Öffentlichkeit im Seitenwagen mit dabei ist, über die juristisch und ermittlungstaktisch anspruchsvollen Themen bis zu den Fällen von der Art des Flughafendiebs. Bei Letzteren sind neben dem juristischen Sachverstand vor allem auch gute Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl gefragt.
Dominik Fantoni besitzt dieses Fingerspitzengefühl. Als sich die Befragung dem Ende zuneigt, wird sein Tonfall strenger und mahnender. Es sei ja nicht das erste Mal, dass die Polizei den Mann wegen Diebstahls festgenommen habe. «Das muss jetzt aufhören, verstehen Sie!?!» Der Beschuldigte schaut auf das Tischblatt und sagt auf Deutsch: «Es tut mir leid.» Der Staatsanwalt legt noch mehr Dringlichkeit in seine Stimme: «Ich gebe Ihnen noch einmal eine Chance. Sie müssen vier Monate ins Gefängnis. Dabei habe ich berücksichtigt, dass Sie heute ein Geständnis abgelegt haben. Beim nächsten Mal geht es nicht mehr so einfach.» Also nicht mehr mit einem Strafbefehl. Der Rest sind Formalitäten. Hat der Beschuldigte alles verstanden? Will er den vorzeitigen Strafvollzug antreten? Braucht er medizinische Unterstützung? Rechtsanwalt und Staatsanwalt bemühen sich gemeinsam, alle Fragen zu klären. Dann steht der Beschuldigte auf und gibt allen die Hand. Dominik Fantoni sagt: «Alles Gute.»
Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft
Andere Fälle, die heute auf der Liste sind, lassen sich nicht so rasch abschliessen. Da ist zum Beispiel der Mann, den die Polizei verhaftete, nachdem er seine Ex-Freundin schwer bedroht hatte. Dominik Fantoni hat ihn befragt und sich danach mit den Fachleuten der Fachstelle Forensic Assessment & Risk Management besprochen. Gemeinsam kam man zum Schluss, dass das Ausführungsrisiko hoch sei. Also beantragt Dominik Fantoni Untersuchungshaft.
Das STA-Pikett West umfasst das Einzugsgebiet der Staatsanwaltschaften Zürich-Limmat, Zürich-Sihl und Limmattal/Albis. Wochenweise leisten Teams aus diesen Staatsanwaltschaften Dienst. Das Team der STA Limmattal/Albis besteht aus je einem Staatsanwalt und einer Staatsanwältin, einem Assistenz-Staatsanwalt, einer Auditorin sowie je einer Verfahrensassistentin und einem polizeilichen Protokollführer, welche den grossen administrativen Aufwand mit den Fällen bewältigen. Sie behalten auch in hektischen Momenten den Überblick und sorgen dafür, dass nichts vergessen geht: dass die Strafbefehle ausgehändigt werden, die Haftakten ans Zwangsmassnahmengericht gelangen oder die Dolmetscher und Verteidigerinnen ihre Vorladungen zum Eintritt ins PJZ erhalten.
Intensive Pikettschichten unter Zeitdruck
Sandra Lanz ist eine von zwei Abteilungsleitenden bei der STA Limmattal/Albis. In dieser Eigenschaft ist sie diese Woche zusammen mit ihrem Team zuständig für das Pikett West – und übernimmt auch selber Pikettschichten. Sie betont, was das Tagesprogramm von Dominik Fantoni exemplarisch zumAusdruck bringt: Pikettschichten sind intensiv. Die Arbeitslast ist gross, und immer drückt die Zeit, zumal zwischen der Verhaftung und der polizeilichen Zuführung an die Staatsanwaltschaft oft bereits ein wesentlicher Teil der 48-stündigen Frist verstrichen ist. 2023 registrierte das STA-Pikett West insgesamt 4’688 Zuführungen. Dabei erhöhe die neue, seit Anfang 2024 gültige Strafprozessordnung den Aufwand für das STA-Pikett noch zusätzlich, sagt Sandra Lanz. Neu müsse die Staatsanwaltschaft zwingend eine Einvernahme durchführen, wenn eine unbedingte Freiheitsstrafe drohe. Im nüchternen Büro in der ersten PJZ-Etage wird weiterhin Betrieb herrschen.
Bericht: Hannes Nussbaumer
STA-Pikett
Beim STA-Pikett handelt es sich um einen staatsanwaltschaftlichen Pikettdienst für polizeilich zugeführte Personen. Die Staatsanwaltschaft führt dabei unter anderem Einvernahmen durch und entscheidet, ob sie beim Zwangsmassnahmengericht Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft stellt. Sofern die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, schliesst sie Verfahren vor Ort mit Ausstellung eines Strafbefehls ab.
Betreffen die Fälle die Bezirke Zürich, Dietikon, Affoltern oder Horgen, kümmert sich das im Polizei- und Justizzentrum (PJZ) angesiedelte STA-Pikett West darum. Die beiden Staatsanwaltschaften Winterthur/Unterland (Bezirke Dielsdorf, Bülach, Andelfingen und Winterthur) und See/Oberland (Bezirke Meilen, Uster, Hinwil und Pfäffikon) betreiben je ein eigenes STA-Pikett.
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Oberstaatsanwaltschaft des Kanton Zürich